Kurier, 9.12.2012
Gert Korentschnig
 
Wagner: Lohengrin, Teatro alla Scala, 7. Dezember 2012
 
Die Geburt eines Schwanes 
 
Kritik: Die Mailänder Scala eröffnete ihre Saison musikalisch triumphal mit Wagners "Lohengrin".
 
Alljährlich am 7. Dezember, dem Tag des Stadtheiligen Sant’Ambrogio, findet in Mailand die italienische Version des Opernballes statt. Und wer Italien auch nur ein bisschen kennt, der weiß: Dort wird intensiv gefeiert. Vor der Mailander Scala: Ein Bild wie beim Opernball vor 20 Jahren.

Protestierende Gewerkschaften, Kapitalismusgegner und einige Anarchos stehen Heerscharen von Polizisten gegenüber. Diesmal wird gegen Mario Monti demonstriert, wie auch schon gegen Silvio Berlusconi demonstriert wurde. Es werden Eier und Rauchbomben geworfen.

In der Mailänder Scala: Ein Bild wie beim Opernball heute. Unzählige Reporter und Kameraleute drängen sich schon lange vor der Aufführung im Foyer und warten nicht nur auf die Würdenträger, sondern auch auf die Lugners Italiens. 2000 Euro kosteten diesmal die teuersten Karten für die Inaugurazione, die traditionelle Saisoneröffnung. Dass heuer Richard Wagners „Lohengrin“ und nicht ein Werk Giuseppe Verdis zu diesem Anlass gegeben wurde, hatte vorab für Empörung gesorgt. Bei beiden wird es demnächst 200 Jahre her sein, dass sie geboren wurden.

Der Stratege

Bei der Premiere selbst war nicht das Geringste von Wagner-Ressentiments zu spüren. Dass nach dem zweiten Aufzug einige Plätze leer blieben, hatte wohl eher mit Unverständnis der Regie gegenüber zu tun. Außerdem setzte Daniel Barenboim, der schlaue Dramaturg am Pult, auf einen genialen Schachzug, um am Ende allen möglichen Kritikern im Publikum den Wind aus den Segeln zu nehmen: Er dirigierte, sofort nach dem ersten Applaus, die italienische Hymne. Normalerweise wird diese bei der Saisoneröffnung am Anfang gespielt. Nach diesen Tönen, nach den ungleich schwereren von Wagner, mussten selbst mögliche Nationalisten versöhnt sein.

Man mag es kaum glauben, aber zwischen diesen wesentlichen Eckpunkten des Scala’schen Gesamtkunstwerkes fand tatsächlich eine ernsthafte Premiere statt – noch dazu eine ganz famose. Um gleich bei Barenboim zu bleiben: Er ist ein geradezu idealer Gestalter für den „Lohengrin“, dieses so sehr an Klangfarben orientierte Werk. Wenn Wagner-Experte Barenboim mit dem Scala-Orchester, das italienische Leichtigkeit einbringt, sich dieser Oper annimmt, ergibt das eine erfrischende, ausbalancierte, sensible und gleichzeitig dramatische Mischung. Nur gegen die Präzision einiger Bläser-Einsätze könnte man opponieren.

Der Analytiker

Bedeutend problematischer waren da schon manche Momente der Inszenierung von Claus Guth, der sich wieder einmal psychologisch, geradezu freudianisch analytisch einem Werk nähert. Guth ist offensichtlich sehr an Gottfried, dem von Ortrud zum Schwan verwandelten Erben von Brabant, interessiert. Lohengrin ist für Elsa nichts anderes als die Reinkarnation ihres Bruders Gottfried. Sie selbst bringt ihn als Produkt ihrer Fantasie zur Welt. Es ist beeindruckend und kafkaesk, wie Protagonist Jonas Kaufmann die Geburt eines Schwanes und anschließende Menschwerdung spielt. Logischer wird die Geschichte nicht, wenn Inzest, frühkindliche Prägungen, Neurosen so im Zentrum stehen.

Exzellent ist Guths Idee, „Lohengrin“ mit dem weißen Schwan Elsa und dem Schwarzen der Ortrud in die Nähe von „Schwanensee“ zu rücken. Wenn Kaufmann am Ende wieder rückverwandelt wird und das am ganzen Körper zuckend umsetzt, ist das wie eine moderne Interpretation des Balletts.

Der Star

Kaufmann ist überhaupt der Star der Aufführung: Sein Tenor mit baritonalem Timbre, exzellenter Höhe und leichter Italianità auch bei Wagner-Rollen ist perfekt für den Lohengrin.
Ebenso idealbesetzt ist Evelyn Herlitzius als Ortrud mit großer Dramatik und intensiven Ausbrüchen. René Pape überzeugt als mächtiger, sonorer Heinrich, Zeljko Lucic, der Heerrufer, passt besser zu Verdi. Eine Enttäuschung ist Tomas Tomasson als Telramund – er hat weder genügend Kraft noch die nötige Höhe für diese Partie.

Die bemerkenswerteste Leistung des Abends erbrachte Annette Dasch: Sie war erst in der Nacht angereist, um für Anja Harteros (und die ebenso erkrankte erste Ersatzlösung, Ann Petersen) als Elsa einzuspringen und hatte nur wenige Stunden Zeit zu proben. An ihrer Darstellung merkte man das kaum, an der Stimme schon. Sie verdient alle Milde im Urteil, nur so viel: Im akustisch grandiosen Bayreuther Theater, wo der Orchestergraben großteils überdacht ist, hörte man sie bei der „Lohengrin“-Premiere 2010 um vieles besser.
 






 
 
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