Der Neue Merker, 20.1.2012
D. Zweipfennig
Verdi: Don Carlo, Bayerische Staatsoper, 19. Januar 2012
MÜNCHEN / DON CARLO 19.01. – Kaufmann & Co.!
 
Giuseppe Verdis fünfaktige, italienische Fassung im Nationaltheater.
 
Ausverkauft nach kürzester Zeit waren alle fünf Aufführungen, Jonas Kaufmanns einzige Auftritte an der Bayer. Staatsoper in dieser Spielzeit, dazu in einer Partie, die er hier noch nicht gesungen hatte. Rund um Münchens berühmten Spross stand ein Ensemble auf der Besetzungsliste, wie es derzeit in der Tat kaum besser denkbar schien.

Man bibberte nur, dass es bloß nicht zu Umbesetzungen schwerwiegender Art kommen möge. Als schließlich kurz vor der ersten Aufführung am 15. Boaz Daniel als Posa-Einspringer für Mariusz Kwiecien gemeldet wurde (zuerst nur für die erste Auff., dann für die ganze Serie), dachte ich noch, dass dies keinen schwerwiegenden Eingriff in die illustre Sängerliste bedeuten würde, hatte ich den israelischen Bariton doch von der konzertanten Münchner Bohème mit Netrebko/Villazon 2007 in allerbester Erinnerung. In wieweit Daniels gestriger Stimmzustand seiner jetzigen Normalform entsprach oder nicht, wüssten die Wiener besser, wo er zum Hausensemble gehört. Das „Material“ ist noch da, aber der Umgang damit unbefriedigend. Schönere Momente, wo man den Eindruck gewinnt, er weiß schon, wie’s ginge, wechseln sich mit unschönen ab – manches Mal rutscht schlagartig die Tragfähigkeit weg und es bleibt nur ein trockener, gar nicht „edler“ Klang übrig. Und ein Posa sollte den edelsten Klang verströmen, den man sich von einem Bariton nur wünschen kann. Schade also, auch wenn sich Daniel redlich bemühte und sich in der Todesszene richtig verausgabte, seinem Freund Carlos konnte er in dieser Form kaum das Wasser reichen.

Mit Sergej Larin in der Premierenserie 7/2000, und auch danach noch, hatte man einen eher heldischen Tenor in der Titelrolle. Später versuchten sich auch Lyriker wie Ramon Vargas an Münchens 5-aktiger Version, welche zusätzlich auch das herrliche Duett Philipp-Carlos nach Posas Tod enthält (mit einem Thema aus dem Verdi-Requiem). Diesem wiederum dürften die dramatischen Rollenvertreter wesentlich besser gewachsen sein als die lyrischen, denen es hierbei „an die Substanz gehen“ könnte, wie man so schön sagt.

Aber all diese Überlegungen darf man vergessen, wenn man einen Carlos vom Formate Jonas Kaufmann auf der Bühne hat. Der hat’s einfach: Er schöpft aus dem Vollen. Dass die Carlos-Partie insgesamt recht hoch liegt, fiel hier stärker auf, als sonst vielleicht, denn des kraftvollen Strahlens war kein Ende. Kaufmanns gehauchte Piani sind Stilmittel (nicht, dass er nicht anders könnte, das beweist er ja bei seinen Liederabenden), auch Domingo bediente sich selbiger in ähnlicher Weise. Kaufmann ist auch ein hoch intensiver Darsteller, wie wir wissen, dennoch beinahe verblüffend, wie dieser Bilderbuch-Prinz die Schattenseiten, samt körperlicher Gebrechen auf die Bühne bringt (epilepsieartige Anwandlungen – der historische Carlos soll ja Epileptiker gewesen sein). Seit Larin habe ich das nicht mehr so überzeugend gesehen. Regisseur (und BB) Jürgen Rose war übrigens bei dieser Wiederaufnahme selbst zur Auffrischung am Werke!

Andererseits steckte in diesem Carlos natürlich auch sehr viel Kaufmann drin, ebenso wie bei Anja Harteros‘ Elisabeth viel Eigeninitiative ihrerseits. Das ergab ein aufregendes Miteinander; so heiße Liebesbeweise hat man in dieser „strengen“ Oper wohl selten zu sehen bekommen. Das ist allerding auch der Fassung mit dem Fontainebleau-Akt vorweg zu danken, wo sich das Paar in glückseligem Ungestüm ineinander verliebt. Damit wird das ewige Sehnen Carlos‘ nach seiner „Mutter“ (die ihm sein Vater vor der Nase weggeheiratet hat) deutlicher, verständlicher, und dementsprechend hitzig dürfen dann auch die Szenen zwischen dem Infanten und seiner Stiefmutter ausfallen. Anja Harteros‘ außergewöhnlicher, topsicherer jugendlich dramatischer Sopran verströmt in der Höhe eine gewisse Kühle, nicht scharf, aber auch nicht „blühend“. Erst bei ihrer großen Arie „Tu, che le vanità“ machte sie richtig schön auf große Primadonna, was ihr prächtig ansteht: Hier lässt in der Tat hin und wieder ein klein wenig die Callas grüßen – schön georgelte, brustige Tiefen, Höhen mit Power und dadurch endlich „lebendiger“ als die kühlen Töne vorher und dazu schwebende Piani – wow!

Powervoll ertönte auch der etwas gutturale Mezzo von Anna Smirnova, die bei ihrer Arie („O don fatale“) ohne Mühen (!) demonstrierte, wie ein dramatischer italienischer Mezzo dieses Renommierstück zu servieren hat (auch wenn sie Russin ist).

Schließlich René Pape als König Philipp – was für ein Pracht-Bass, was für ein emotional aufwühlendes Rollenportrait dieses den Zwängen der Inquisition unterworfenen Königs! Ob diesen auch grausamen König das Nicht-Geliebtwerden durch seine junge Gattin gar so sehr erschüttert, sei dahingestellt. In dieser Oper jedenfalls tut es das und Pape ordnet das üppige Strömen seines Superbasses seiner Intensivinterpretation unter.

Eric Halfvarson schien als Großinquisitor von der Papierform her gut gewählt, jedoch hat der amerikanische Bassist seinen Zenit inzwischen auch schon überschritten, sodass ein ziemlich heftiges Tremolo seine Leistung deutlich schmälerte.

Steven Humes sang einen vollmundigen Mönch/Karl V., Laura Tatulescu gab einen ganz entzückenden, quirlig frechen Pagen mit hübscher Stimme, Evgeniya Sotnikovas Sopran erklang beinahe kindlich anmutend als Engelsstimme, was die erwünschte ergreifende Wirkung möglicherweise verstärkte. Sehr beeindruckend und klangschön ertönten bei dieser Aufführung die sechs Flandrischen Deputierten, bestückt mit prächtigen Stimmen aus dem Hausensemble, sowie der Chor der Bayer. STO (Sören Eckhoff).

Das Gesamtniveau der Aufführung hätte gesteigert werden können/müssen, indem Dirigent Asher Fisch mehr Temperament an den Tag gelegt hätte. Fisch steuerte zwar das Großensemble sicher durch die Wogen dieser anspruchsvollen Partitur, aber es war einfach nicht „spannend“, der berühmt-berüchtigte „große Spannungsbogen“ fehlte schmerzlich. Ebenso haperte es bei den als effektvoll erwünschten Übergängen.

Die 4 Stunden 30 Minuten (1 Pause) waren zwar Dank der Hauptsänger ein erhebendes Ereignis. Der Dirigent jedoch hatte bedauerlicherweise versäumt, die Chose insgesamt richtig aufregend werden zu lassen.

Wenig Szenenapplaus, dafür zum Schluss besonders lang anhaltende Ovationen.






 
 
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