Donaukurier, 16.08.2012
Hannes S. Macher
 
Bizét: Carmen, Salzburger Festspiele, 14. August 2012
 
Spröde Carmen
 
 
Salzburg (DK) Nein, das typische und farbenprächtige „Carmen“-Kostüm einer spanischen Zigeunerin trägt sie nicht, eher ein schwarzes Büßergewand. Doch sie zeigt viel Bein, stakst barfuß über die Bühne, sie tanzt ebenso gekonnt Flamenco wie sie professionell mit Kastagnetten umzugehen weiß und sich auch lustvoll auf dem Boden und dem Bartresen rekelt.
 
Aber mit ihrer nicht auftrumpfenden, sondern verhalten-erotischen Ausstrahlung wirkt sie auf die Männer ihrer Umgebung keineswegs so verlockend sexy, wie das Librettistenduo Henri Meilhac/ Ludovic Halévy und der Komponist Georges Bizet dieses Objekt der Männerbegierden angelegt haben. Eher cool als aufregend ist Magdalena Kozena als Carmen in den beiden ersten Akten, um am Schluss, vor ihrer Ermordung durch den eifersüchtigen Don José, (noch dazu in einem höchst unpassenden, allzu brav-adretten Kleidchen) ins Zickige abzugleiten. Auch klingt ihr Mezzosopran sehr hell, bisweilen etwas zu intim. Selbst die Habanera singt sie als „Carmen“-Debütantin nicht „wie ein wilder Vogel“, sondern eher reserviert, fast wie eine Somnambule, die in ferner Erinnerung von ihrer großen Liebe schwelgt.

Das Klischee von der feurigen Zigeunerin aus der Zigarettenfabrik in Sevilla wollte die Regisseurin Aletta Collins diesmal nicht bedienen, indem sie nicht nur Carmens Leidenschaft auf ein Minimum reduzierte, sondern auch die Handlung vom Beginn des 19. Jahrhunderts (im Bühnenbild von Miriam Buether und den Kostümen von Gabrielle Dalton) in die 1930er Jahre verlegte, ohne jedoch den Faschismus in Francos Spanien dabei zu thematisieren. Und doch huldigte die englische Choreografin in ihrer Inszenierung dem Stierkampfmythos, füllte die Orchesterzwischenspiele mit rasanten Flamenco-Tanzeinlagen auf. Dazu gab es psychologisch fein ausgeleuchtete Personencharakterisierungen und stimmungsvolle Situationsbeschreibungen, etwa beim Pausentumult der Arbeiterinnen vor der Zigarettenfabrik. Und vital arrangiert sind die Massenszenen vor der Stierkampfarena mit Pappmachépopanzen und in Lillas Pastias Schenke im zweiten Akt als grelles, freilich auch musical-ähnliches und allzu überambitioniertes Spektakel.

Angestrengt bemüht spielten auch die Wiener Philharmoniker unter Simon Rattles Leitung: Statt südländisch-spanisches Flair und Bizets Feuer gab’s hier hauptsächlich exaktes Musizieren, bisweilen allzu stark forcierend, zu hören. Nur die eingängigen Melodien von Georges Bizet und das düstere Todesmotiv konnten letztlich überzeugen.

Doch schwärmen lässt sich bei dieser Neuinszenierung von Jonas Kaufmann: Ein ebenso smarter wie im Liebesleid absolut gebrochener Don José voll kraft- und glutvoller Leidenschaft in Stimme und Bühnenpräsenz ist er. Furios in Liebe, Hass und Eifersucht und ebenso ein Traum bei den Mezza-Voce-Stellen wie voll begeisternder Sensibilität in den lyrischen Partien.

Absolut unpassend ist dagegen die Partie des Stierkämpfers Escamillo von der Regisseurin angelegt worden: Kein eitler, selbstverliebter spanischer Torero ist er hier, sondern eher ein verklemmter deutscher Behördenchef, der bei der Betriebsfeier einmal den Zampano herauskehren möchte. Warum sich Carmen gerade in solch eine Karikatur eines Mannsbildes verliebt, ist nicht nachvollziehbar. Noch dazu wenn Kostas Smoriginas in dieser Partie stimmlich schier überfordert war. Wenigstens hatte Salzburg-Intendant Alexander Pereira mit diesem Fauxpas ein Einsehen und ersetzte den Bassbariton aus Litauen nach der Pause durch den mit einem geschmeidigen Bariton glänzenden Massimo Cavaletti. Während die übrigen Partien angemessen besetzt waren und der Wiener Staatsopernchor zusammen mit dem Salzburger Kinderchor herrlich sang, gab Genia Kühmeier geradezu hinreißend das Bauernmädchen Micaela ab. Mit ihrem warm dahin fließenden, betörenden Sopran und ihrem anrührenden Spiel eroberte sie die Herzen des Premierenpublikums.

Kurzer, intensiver Jubel für alle Beteiligten dieser Festspielproduktion, in dem sich auch lautstarke Buhs für Magdalena Kozena und Simon Rattle mischten.


 
 
 
 
 
 
 






 
 
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