Drehpunkt Kultur, 15.8.2012
Von Reinhard Kriechbaum
 
Bizét: Carmen, Salzburger Festspiele, 14. August 2012
 
Neues vom Gefühls-Outlaw Carmen
 
 
15/08/12 Täuscht die Erinnerung, oder ist die Schlange am Betriebsbuffet der Tabakfabrik in Sevilla jetzt ein wenig kürzer geworden? Der Schmuggler-Akt der „Carmen“, von Regisseurin Aletta Collins ins Kanalsystem der Stadt verlegt, schaut freilich nach wie vor trostlos aus wie nur. Aber wir wollen vom Positiven reden, und davon gibt es nicht wenig.

Intendant Alexander Pererira proklamiert entschieden seine Abneigung gegen Wiederaufnahmen und er hat kein Hehl daraus gemacht, dass er die von den Osterfestspielen übernommene „Carmen“ als Hypothek empfindet. Vielleicht ist aber gerade diese Aufführung, wie sie sich jetzt darbietet, ein Zeichen, dass das Weiterarbeiten und Umbesetzen auch etwas zum Besseren wenden kann. Zum viel Besseren.

„Carmen“, wie sie sich bei der Wiederaufnahme-Premiere am Dienstag (14.8.) präsentierte: Das war vor allem ein großer Abend fürs Orchester. So sehr sich die Berliner Philharmoniker zu Ostern um Brillanz und kammermusikalische Akkuratesse bemüht und sie auch erreicht hatten – die Wiener Kollegen nehmen Sir Simon Rattle nicht annähernd so ernst, aber sie haben erstens Charme und zweitens ihre Ohren auf der Bühne. Sie wissen, wie Carmen tickt. Da können sich alle auf das Mitatmen unten im Graben verlassen, und das ist ein Quantensprung. Davon profitieren Magdalena Kožená ebenso wie Jonas Kaufmann, Chor und Kinderchor. Rundum wirkt jetzt alles plausibler, besser synchronisiert, einleuchtender. Gewachsen eben, nicht gemacht.

Magdalena Kožená schien zu Ostern von der Ausstrahlung her nur leidlich zu passen für die Rolle. Unterdessen hat sie sich die Carmen wie eine zweite Haut drüber gezogen. Die Untertöne wirken gefährlich, gerade weil das Timbre wo nötig so verführerisch ist. Mit einem unberechenbaren Gefühls-Outlaw dieser Art ist nicht zu spaßen. Das hat jetzt Kontur, und eben weil es aus dem Orchestergraben so samten tönt, erzeugt die analytisch durchdachte, doppelbödige Rollengestaltung der Kožená Spannung. Jonas Kaufmann lebt als José gestalterisch die Unentschlossenheit dieser Figur aus. Ein Weichei zum Mitfühlen, Mitleiden – und man wundert sich kein bisserl darüber, dass Carmen zum maskulinen Alphatier schwenkt, Tenorglanz hin oder her.

Mit diesem Torero Escamillo hatte man freilich kein Glück, sein Auftrittslied wurde zum Debakel. Akuter Allergieanfall, hieß es. Für den Rest des Abends lieh der eilends herbeigeholte Massimo Cavalletti (als Marcello in der „Bohème“ glücklicherweise am Ort) dem nur mehr spielenden Kollegen Kostas Smorigionas vom Bühnenrand aus die Stimme. Das klang so, als ob dieser Torero eine ganze Stierherde mit links abmurkste.

Die Sängerbesetzung ist bis in die kleinsten Rollen mit jener zu Ostern identisch und man hat das angenehme Gefühl, dass vieles nun besser geprobt ist. Auch diesmal hat Genia Kühmeier als Micaela das Publikum zu Jubelstürmen hingerissen – es ist einfach eine Traumrolle für sie, und auch da bekommt sie jetzt aus dem Orchestergraben deutlich mehr Support. A propos Schlussbeifall: Einige Buhrufe für Magdalena Kožená machten deutlich, dass manchen eine rotblonde, spindeldürre Carmen einfach nicht in den Kram passt – auch wenn sie die Rolle so rund und plausibel durchzeichnet.

Und, wie zu Ostern gab es auch jetzt kaum ernsthafte Gegenstimmen zur Inszenierung. Man darf aber nicht verschweigen: Die unglaublich patschert „gestellten“ Chorszenen, die ins garstige Bühnenbild hineingepferchten Protagonistenmassen sind immer noch ein Ärgernis. Doch an der Figurenführung hat Aletta Collins weitergearbeitet. Die erste Auseinandersetzung zwischen Carmen und Don José ist jetzt richtig spannend, und auch im Schlussbild liefern die beiden in ihren Bewegungen, in ihren Annäherungen und Wegweisungen eine psychologisch genaue Choreographie. Das Wort ist angebracht, weil die Regisseurin ja eigentlich vom Tanz herkommt. Wie nötig, wie sinnstiftend die schwarzen Damen sind, die da oft vor dem Orchestergraben das Tanzgebein folkloristisch schwingen? Es ist vermutlich als Beitrag zur Gendergerechtigkeit gedacht, die choreographischen Kommentare sollen den gefährdeten, aber doch nicht zu bändigenden Freiheitswillen der Carmen spiegeln. Soll sein, steht jetzt der Rest-Oper nicht mehr ernsthaft im Wege.







 
 
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