OÖNachrichten, 2. April 2012
Michael Wruss
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Berliner Philharmoniker hören den Sängern nicht zu
 
Auch beim – nach 45 Jahren – letzten Oster-Gastspiel der Berliner Philharmoniker in Salzburg erwies sich das deutsche Spitzenorchester bei der Premiere von Bizets „Carmen“ am Samstag im Großen Festspielhaus als nur bedingt geeignet für die Oper.

Das Problem liegt weder im Klanglichen noch im Technischen, sondern darin, dass die Musiker eines reinen Konzertorchesters das Den-Sängern-Zuhören nicht beherrschen. Simon Rattle selbst ist auch nicht der Dirigent, der jeden Abend im Graben steht, und er schafft es nicht immer, den Sängern die Freiheit des Phrasierens zu ermöglichen. So blieb zum Beispiel die Habanera nicht nur wegen der wenig erotischen Ausstrahlung Magdalena Kozenás eintönig, sondern auch wegen der nicht um einen Millimeter nachgebenden Begleitung im Orchester. Auf der Bühne gepflegtes Arrangieren, was dem Festspielpublikum gut gefallen hat. Eine Carmen mit ein paar modernen Bonmots – so ist die Bühne mit knallgelben Schalungsplatten, die auch den „Vorhang“ stellen, zugepflastert, und am Anfang des dritten Aktes klettern die Schmuggler nicht in den Bergen rund um Sevilla herum, sondern in der Kanalisation oder in einem U-Bahn-Schacht. Sonst ist Regisseurin Aletta Collins nicht viel eingefallen, um das Stück nicht nur oberflächlich gestellt zu inszenieren.

Die Bühne (Miriam Buether) wartete zwar mit technischen Spielereien auf, trug aber ebenso wie die wenig spanischen Kostüme (Gabrielle Dalton) kaum zu einer Vertiefung bei – ganz im Gegenteil. Auch auf der Bühne stand kein Ensemble, das die horrenden Preise von bis zu 510 Euro rechtfertigen würde. Das Schmugglerquartett wäre in jedem mittleren Haus besser besetzt. Vor allem Christina Landshamer als Frasquita war weit weg von einer Spitzenleistung. Auch kaum besser: Rachel Frenkel (Mercédès), Simone Dal Savio (Dancaïro) und Jean-Paul Fouchécourt (Remendado). Die einzige restlos überzeugende und sich in die lange Geschichte von Carmen-Aufführungen in Salzburg einfügende Sängerin war Genia Kühmeier, die als Micaëla genial agierte und selbst Simon Rattle zum Zuhören zwang.

Jonas Kaufmann erinnert in vielen Details an frühere deutsche Tenöre, die das Falsett beinahe übergebührlich beanspruchten, dabei aber eine elegante Art entwickelten. Er ist als Don José ideal besetzt, schafft es aber trotzdem nicht, die Gefährlichkeit dieser wandelnden Psycho-Bombe über die Rampe zu bringen. Sein Gegenspieler Escamillo blieb blass. Magdalena Kozená singt wunderbar, ist aber in keinem einzigen Ton eine veritable Carmen. Ihr fehlt die große Stimme in der Tiefe, die sichere Höhe und der charakterliche Zugang zur Rolle. Das war ganz und gar nicht jener Dämon, den José am Schluss verflucht.
 






 
 
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