Abendzeitung, 01. April 2012
Volker Boser
 
Bizét: Carmen, Salzburger Osterfestspiele, 31. März 2012
 
Ernsthaft bemühte Erotik
 
Magdalena Kozená singt im Großen Festspielhaus in Salzburg die Titelrolle der Carmen und Gatte Simon Rattle dirigiert die Berliner Philharmoniker – Herr im Ring aber ist Jonas Kaufmann
 
Die Zigeunerin aus Sevilla ein weiblicher Don Giovanni? Eine individuelle Projektionsfläche für Wünsche und Begierden? Man kann es sich aussuchen. Und auch eine Inszenierung sollte sich Gedanken machen. Im Großen Festspielhaus gab es vor allem ein Spektakel in Cinemascope und Technicolor zu bestaunen. Das machte mächtigen Eindruck, obwohl Bizets „Carmen” doch eher ein Werk im Stile der französischen Opera comique ist, also alles andere als knallig pompös oder knackig direkt.

Aber die Verführung, den riesigen Raum effektvoll zu nutzen, war wohl doch zu groß. Zwischen Orchester und Zuschauerreihen hatte man noch eine zusätzliche Rampe gebaut, um den Akteuren Publikumskontakt zu erlauben. Während der „Habanera” ergriff „Carmen”-Debütantin Magdalena Kozená die Hand einer Besucherin, um daraus zu lesen: Ein Musical-Effekt, hübsch, aber überflüssig.

Wie jede Sängerin der Carmen hatte auch sie vorab verkündet, wie sie es denn mit der Rolle halte. Zu lesen war, dass Dirigenten-Gatte Simon Rattle ihr abgeraten hätte. Auf der Bühne erlebten wir eine schlanke, rotblonde Frau, die schon mal die nackten Beine auf den Tisch legte, brav mit den Kastagnetten klapperte und das, was sie zu singen hatte, mit ernsthaftem Bemühen um Stimmkultur und Ausdruck bewältigte.

Doch das war zu wenig. Erotische Ausstrahlung und Körpersprache signalisierten, dass diese Traumrolle der Sängerin eher fremd ist. Der Möchtegern-Womanizer Escamillo passte perfekt zu ihr: Auch Kostas Smoriginas sang ausgezeichnet, wirkte aber als Stierkämpfer auf der Bühne wie ein biederer Finanzbeamter im Büro-Fasching.

Einiges lief falsch, auch im Orchestergraben: Die Berliner Philharmoniker zeigten zwar ihre Tugenden, jeder Takt war akribisch ausformuliert – wie es Symphonieorchester eben gelernt haben. Doch in der Oper gelten andere Gesetze. Sänger zu begleiten bedeutet auch, Wesentliches von Unwesentlichem zu trennen, nicht auftrumpfen zu wollen, sondern sich zurück zu halten. Berlins Elite-Musikanten servierten alles gleichermaßen zackig, preußisch bedeutsam. Simon Rattle, ebenfalls ein „Carmen”-Debütant, forcierte, anstatt zu dämpfen. Bizets Feuer glühte in der Energie Wagners.

Dass die Regie von Aletta Collins die Handlung in die 1930er Jahre verlegte, ließ sich hinnehmen. Bedenklich war die stilistische Beliebigkeit. Wenn es intim wurde, half ein deftiger Lichtspot, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu bündeln. Die Orchesterzwischenspiele wurden durch Tanzeinlagen angereichert. Für die Choreographie zeichnete die Regisseurin verantwortlich. Sie hat schon „Jesus Christ Superstar” erfolgreich in Szene gesetzt. Die Flamenco-Gesten der Tänzer wirkten aufgesetzt und entsprachen nicht immer der Musik, die nicht ständig in Spanien-Klischees schwelgt.

Herr im Ring in dieser Salzburger Osterfestspiel-„Carmen” – sie wird im Sommer wieder aufgegriffen – war unangefochten Jonas Kaufmann. Als Don José brachte er all das ein, was ihn in dieser Partie derzeit auszeichnet, stimmlich glänzend disponiert, mit Mut zu erfolgreichen Mezza-Voce-Abenteuern („Blumen-Arie”) und kraftvoller Leidenschaft. Dass er in der Gunst des Publikums knapp hinter Genia Kühmeiers rührender Micaela lag, war wohl purer Lokalpatriotismus: Er ist ein Münchner, sie stammt aus Salzburg.










 
 
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