Neues Volksblatt, 6.August 2012
Von Ursula Kammesberger
 
Puccini: La Bohème, Salzburger Festspiele, 4. August 2012
 
Mimi zwischen zwei Rodolfos
 
 
Mit einer guten und einer schlechten Nachricht erwartete Salzburgs Festspielchef Alexander Pereira das Publikum am Samstag vor der zweiten Vorstellung von Puccinis „La Bohème“ im Großen Festspielhaus. Die schlechte Nachricht zuerst: Startenor Pjotr Beczala sei heiser und könne daher den Rodolfo nicht singen, sondern nur mimen. Dann die gute Nachricht: Vokaler Ersatz sei bereits gefunden. Ein anderer Startenor, Jonas Kaufmann, habe sich bereit erklärt, zwischen zwei Ariadne-Aufführungen bei Puccini einzuspringen und Beczala seine Stimme zu „leihen“. Die Sympathie des Publikums war ihm damit gewiss!

Dem Publikum boten sich „trübe Aussichten“

Mit vierzig Minuten Verspätung konnte schließlich der Vorhang hochgehen. Was sich dem Publikum dann erst einmal bot, das waren „trübe Aussichten“, hier noch verstärkt durch die beschlagenen Scheiben des riesigen Mansardenfensters, mit dem Paolo Fantin die Dachboden-Wohnung der vier Künstlerfreunde, halb Obdachlosen-Unterkunft, halb Studentenbude ausgestattet hatte.

Das alte „Quartier Latin“ gibt es längst nicht mehr. Rodolfo und seine Freunde „logieren“ nicht mehr am Montmarte oder Montparnasse, sondern irgendwo in der banlieu, in einem jener trostlosen Vororte von Paris mit Blick auf eine Autobahnauffahrt und einen abgewrackten Imbissstand. Dort ist dann auch das dritte Bild angesiedelt, das an Tristesse nicht mehr zu überbieten ist.

Und auch am zweiten Bild, das am Weihnachtsabend spielt, hat die Regie (Damiano Michieletto) kräftig gefeilt. Weihnachten ist längst zum Kitsch- und Kauffest verkommen. So ist auch das Café Momus einem Einkaufstempel gewichen, in dem sich Groß und Klein dem Kaufrausch hingeben und Michieletto Heerscharen von Weihnachtsmännern und Rentieren aufmarschieren lässt. Da ist manches schon sehr lächerlich. „Weniger“ wäre auch hier „mehr“ gewesen.

Die Regie vermeidet alles, was das Klischee des armen, aber lustigen Künstlervölkchens bedienen könnte. Sie lässt auch keinen Zweifel daran, dass die Elendsgestalten auf der Bühne selbst schuld an ihrem Elend sind und sich selbst ins gesellschaftliche Out gestellt haben, daran sogar Gefallen finden.

Für falsche Sozialromantik ist in dieser Inszenierung kein Platz, auch nicht für Emotionen. So wenig berührt hat Mimis Tod kaum einmal. Das lag aber keinesfalls an Anna Netrebko, die wieder einmal mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz und ihrer Gesangskultur brillieren konnte. Die Gunst des Publikums musste sie sich diesmal mit „Einspringer“ Jonas Kaufmann teilen, der den musikalischen Kraftakt bravourös meisterte.

Von Rodolfos Künstlerfreunden konnte vor allem Massimo Cavaletti als Marcello mit schönem Timbre auftrumpfen. Nicht weiter auffallend Allessio Arduini (Schaunard) und Carlo Colombara (Col- line). So uninspiriert und kühl hat man die ergreifende Mantel-Arie noch kaum einmal gehört. Nino Machaidze überzeugte als kapriziöse Musetta. Im Orchestergraben trumpften die Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Daniele Gatti auf — leider oft viel zu laut und wenig sängerfreundlich.
 














 
 
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