Wiener Zeitung, 30.7.2012
Von Christoph Irrgeher
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
Trauminsel für Opernbanausen
 
 
Neue "Ariadne" in Salzburg - ein Feelgood-Abend für Theaterfans
 
"Ruh-he!", brüllt jemand von weit hinten. Wichtiger als das Woher ist allerdings das Wohin. Nicht einem Störenfried im Publikum gilt der Ruf, sondern der Bühne. So seltsam es klingt: Ziel der Wut ist Cornelius Obonya, Schauspieler von Renommee. Der steht in Salzburg nämlich auch auf den Brettern, wenn die Opera seria "Ariadne auf Naxos" anhebt. Als dummer Impresario übertönt er das bestellte Werk mit Kiebitzrufen - und somit Richard Strauss. Was im richtigen Publikum eben nicht jeder zum Kichern findet. Eine befriedigende Fusion von Theater und Oper - es ist schon eine heikle Sache.

100 Jahre ist es her, dass genau das versucht ward: Die Ton- und Textsetzer Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal werkten an einer Verneigung vor Max Reinhardt. In seinem Sinn sollte ein Genregemisch entstehen - aber freilich auch ein Erfolg. Zwei Wünsche, die sich arg spießten: Die Uraufführung der "Ariadne auf Naxos" geriet zum Fiasko. Kein Wunder, war sie doch ein unstimmiges Zweigangmenü. Was mit einer Adaption von Molières "Bürger als Edelmann" begann, bekam nach der Pause eine Oper-in-der-Oper aufgesetzt. Der radikale, doch rettende Schritt: statt Molière ein einleitendes Singspiel. Kompakt, stimmig - und auf Dauer ein Erfolg.

Luxus-Kasperliade
100 Jahre später bläst Sven-Eric Bechtolf, Schauspielchef in Salzburg, trotzdem zur Ehrenrettung des Originals. Tatsächlich besticht seine Neufassung der Theater-Hälfte durch Bündigkeit. Und: Er will nicht nur Schauspiel- und Opernteil, sondern auch Schriftsteller und Werk fest verbinden. Der biografische Kunstgriff: Hofmannsthals unerfüllte, weil an unbeugsamer Trauer scheiternde Liebe zur Witwe Ottonie von Degenfeld-Schonburg. In der Molìere-Bearbeitung hat sie ein Double: Witwe Dorimene, die der prestigewütige Titelheld bestürmt. Und in der nachfolgenden Oper, die der Parvenü halb heiter, halb ernst wünscht? Da flehen Komödianten die trauernde Ariadne zur Rückkehr ins Leben an. Behutsam verspinnt Bechtolf die Beziehungsfäden: Er schickt Hugo und Ottonie voran, lässt den Dichter vom "Ariadne"-Projekt erzählen und dann allmählich das Stück (unter Mitwirkung des Duos) beginnen. Ein doppeltes, im zweiten Teil gar dreifaches Spiel, wenn die anbefohlene Oper beginnt.

So smart das Konzept, so pointengrell aber die Umsetzung des Molière-Teils. Zwar ist Bechtolfs Regiehand mit einem Feingefühl gesegnet, das dem unscheinbaren Augenblick platonisches Liebesglück einzuschreiben vermag. In der Hauptsache aber setzt diese Hand auf Obonya. Lobte ein Uraufführungskritiker 1912 eine "nie grob burleske" Figur, scheint Obonya mit der Mission betraut, als kindisches Springinkerl einen Outrage-Rekord in den Disziplinen Fechten, Tanzen, Parlieren und Singen aufzustellen. Es ist dies ein Kraftakt, der auf einer Musical-Bühne gewiss bestens aufgehoben wäre. In Salzburg gerät er dank gediegenen Handwerks immerhin zu einer luxuriösen Kasperliade: Die Screwball-Choreografien sind eine Fingerübung Heinz Spoerlis; den Haushofmeister gibt Peter Matic, der das Rollen-Upgrade von der konventionellen zur Neu-Urfassung mit Schalk auskostet. Michael Rothschopf und Regina Fritsch spielen sich als (zuletzt nicht mehr) verhindertes Liebespaar allmählich auf Betriebstemperatur.

Solide Opernpflichtschuld
Nicht optimal temperiert an diesem Abend jedoch: die Tonkunst. Sicher: Es ist schon informativ, diese Schauspielmusik des Richard Strauss einmal zu hören - unter der Stabführung von Daniel Harding aber wenig mehr. Dass die Wiener Philharmoniker im Graben sitzen, wirkt angehörs eines teigigen Klangbilds mit kräftigen Geigendissonanzen wie ein übles Gerücht. Zwar erklimmen die Musiker im Rahmen der "Ariadne"-Oper noch solides Niveau. Die neckischen Orchesterpointen, die heldischen Aufschwünge in diesem Seria-Buffo-Wechselbad klingen jedoch nur verwaschen an.

So ist es immerhin verschmerzbar, wenn Bechtolfs reicher Banause dazwischenplappert. Vermutlich würde einem solchen Mann ja auch die Opernausstattung im Haus für Mozart behagen. Rolf (Bühne) und Marianne Glittenberg (Kostüm), bekannt aus Zürich und Wien für diskretes Dekor, lassen den Molière-Teil in einem Jugendstilsalon spielen, der dann für die Oper auf der einsamen Insel aufgemascherlt wird: Nymphen sind mit Kopfschmuck angetan, der sie wie Riesenfederbälle aussehen lässt; die buntscheckigen Komödianten sausen auf Tretrollern an. Klavierflügel, geborsten im Sand liegend, dürften so etwas wie augenzwinkernde Intellektualität suggerieren wollen. Man wird dies im Dezember empörungsfrei an der Wiener Staatsoper wiedersehen.

Dass die "Ariadne"-Oper nun kaum mehr als Aufputz war, lag freilich auch an den Sängerleistungen: In einem insgesamt tauglichen Ensemble erzielte Emily Magee (Ariadne) starken Schalldruck, schlich sich aber oft mit Schleifern an den richtigen Ton; Elena Mosuc strebte mit hörenswerter Zerbinetta-Wendigkeit bisweilen schrillen Spitzentönen zu, und Jonas Kaufmann strotzte wie stets vor Sangeskraft, setzte als Bacchus jedoch allzu schluchzige Lockrufe ab. Dass Obonya in dieser Fassung noch ein aufgesetztes Nachwort hat, reduzierte den Jubel nicht. Vor allem war’s ja ein Feelgood-Abend für Theaterfreunde. Und ein Triumph für Intendant Alexander Pereira.
 














 
 
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