Der Neue Merker, 31. Juli 2012
Georg Freund
 
Strauss: Ariadne auf Naxos, Salzburger Festspiele, 29. Juli 2012
 
SALZBURG: ARIADNE AUF NAXOS, Première am 29.Juli 2012
 
 
Urfassungen sind heute sehr beliebt und zweifellos für Theaterhistoriker von Interesse. Aber es hat natürlich einen Grund, warum Ariadne auf Naxos nach der erfolglosen Uraufführung in Jahre 1912 von ihren Schöpfern einer einschneidenden Revision unterzogen wurde. Dabei wurde der heute übliche Prolog völlig neu geschaffen und die ursprünglich vorangestellte Bearbeitung von Molieres Bürger als Edelmann, die die Oper umrahmte, vollständig eliminiert, und zwar sehr zum Vorteil des Werkes.

Sven-Eric Bechtolf hat nun eine dritte Fassung erstellt, in der eine weitere Rahmenhandlung eingeführt wird, die Hofmannsthals Beziehung zu einer von ihm verehrten Gräfin Ottonie zum Gegenstand hat. Der Dichter schildert der Gräfin den Inhalt einer von ihm entworfenen Oper die auf dem Bürger als Edelmann basiert, und zwar so lebhaft, dass die Gestalten des Librettos zum Leben erwachen. Um diese verschachtelte doppelte Rahmenhandlung zu entwirren, dazu bedarf es fast des sprichwörtlichen Fadens der Ariadne. Gerne würde man auf die gestelzten Unterhaltungen zwischen dem Dichter und der Gräfin verzichten und Bechtolf als erfahrender Schauspieler müsste eigentlich wissen, dass geschriebenes und gesprochenes Wort himmelweit von einander entfernt sind Die Darsteller der Sprechrollen des Dichters und der Gräfin blieben auch völlig blass und konturlos. Michael Rotschopf würde man nicht einmal das Verfertigen der missglücktesten Verse des Jedermann zutrauen und von Regina Fritsch hat man schon ungleich bessere schauspielerische Leistungen erlebt. Freilich könnten auch die größten Darsteller derart papierraschelnde Dialoge nicht mit Leben erfüllen.

Molières Bourgeois gentilhomme zählt zu den bedeutendsten Komödien der Weltliteratur, ist aber in der gezeigten Bearbeitung kaum noch zu erkennen. Es wurden lediglich einige Szenen des Werkes in stark verballhornter Form übernommen und die Hauptrolle des einfältigen, nach Höherem strebenden Monsieur Jourdain, eine Glanzrolle für große Darsteller der Comédie francaise, wurde zu einem wüsten Proleten verbogen. Der von einem Kabarettisten ausgebildete Cornelius Obonya hüpfte als Jourdain über die Bühne wie Rumpelstilzchen, grimassierte wie in einer Farce, sprach teilweise in vulgärem Dialekt und trieb so, stets auf der Jagd nach billigen Lachern, der Rolle jedwede psychologische Glaubwürdigkeit aus.

Ich muss noch erwähnen, dass Hofmannsthal und die Gräfin auch weiterhin in die Handlung des Schauspiels und der Oper eingreifen, die Gräfin verkörpert etwa die Marquise Dorimène, die auf der Besetzungliste als Dorine aufscheint. Dorine stammt aber aus einem anderen Stück von Molière, nämlich aus Tartuffe! Merkwürdig auch, dass die Figuren bisweilen das Hochdeutsche verlassen und mit französischem Akzent sprechen, etwa Dorante, den Bechtolf, der ja lange genug den Tellheim gespielt hat, offenbar ganz nach Riccaut aus Minna von Barnhelm gezeichnet hat. Lessings Riccaut befindet sich im deutschen Ausland, dessen Sprache er nicht vollständig beherrscht, aber die Figuren des Molière-Stückes befinden sich in ihrer Heimat, deren Idiom sie selbstverständlich akzentfrei sprechen müssten, in Übersetzung also in unverfärbtem Hochdeutsch.
Zu loben sind die sehr hübsch choreographierten Tänze der Lakaien im Hause Jourdains und Peter Matics altbewährter Haushofmeister, eine Figur, die hier auch Texte aus Molières Stück zu sprechen hat. Sehr gut auch Thomas Frank als Komponist, hier eine reine Sprechrolle. Die herrliche ekstatische Hymne an die Musik ist in der ursprünglichen Fassung leider noch nicht enthalten.

Stets gleichbleibender Aktionsort ist ein weißer, gefällig anzusehender Raum mit einem großen Fenster , das zum Garten führt. Für die eigentliche Oper werden vor diesem Fenster Stufen mit Sitzgelegenheiten aufgestellt und im Vordergrund der Bühne drei ramponierte Klaviere, offenbar als Konzession an das deutsche Feuilleton, aufgestellt.

Die Gesangleistungen bewegten sich mit wenigen Ausnahmen auf mitllerem Niveau. Emily Magee als Ariadne wirkte matronenhaft. Ihre Stimme entbehrt eines schönen Timbres mit Wiederkernnungswert, die Höhen klangen angestrengt, bisweilen machte sich Vibrato bemerkbar. Zerbinetta wurde von Elena Mosuc mit großer Stimme,klangvoller Mittellage und recht guter Höhe verkörpert. Leider fehlten Raffinesse und Charme, und Geräusche beim Atemholen stimmten etwas bedenklich. Frau Mosuc wurde auch durch eingeradezu abscheuliches Kostüm, das sie aussehen ließ wie eine riesige roter Puderquaste, behindert. Ihre Rolle ist übrigens in der Urfassung noch schwieriger als in der geläufigen Version der Oper. Von den vier Komödianten hatte die schönste Stimme der auch schauspielerisch sehr begabte junge Bassist Tobias Kehrer in der Rolle desTruffaldino. Von ihm kann man wohl noch einiges erwarten. Ansprechend auch der Spanier Gabriel Bermudez als Harlekin, der aber mit der deutschen Phonetik zu kämpfen hatte. Michael Laurenz als Scaramuccio und Martin Mitterrutzner als Brighella blieben unauffällig.Die drei Nymphen (Liebau, Chappuis und Buratto) entfalteten Stimmkraft in teilweise geradezu beängstigendem Ausmaß.

Als einziger Weltstar war Jonas Kaufmann aufgeboten, der nach langer Pause die fast unsingbare und wenig dankbare Rolle des Bacchus strahlend, mit heldentenoralen Stentortönen verkörperte. Großartig ! Er trug einen mit Leopardenmuster bedruckten Anzug, komplettiert durch schwarze Lackschuhe. Nun, das Leopardenfell ist ein Attribut des Gottes Bacchus, aber warum musste Kaufmann raubkatzenartig die drei zerlegten Klaviere umschleichen und besteigen? Hat ihn die Zauberin Kirke schon teilweise in einen Leoparden verwandelt ? Die verführerische Kirke ist übrigens die Tante Ariadnes, die Schwester ihrer Mutter Pasiphae, die bekanntlich ihrem Gatten Minos mit einem Stier die Hörner aufgesetzt hat. Die Frucht dieses Bundes, der Minotaurus, wurde dann von Theseus mit Ariadnes Hilfe getötet. Ariadne hat somit an der Ermordung ihres Halbbruders mitgewirkt und ist durchaus keine unschuldig Leiende. Da Gräfin Ottonie mit Ariadne gleichgesetzt wird – sie trägt auch das gleich Schleiergewand- hoffte ich, dass auch der Darsteller ihres geliebten Hofmannstha als Duplikat des Bacchus im Leopardenlook erscheinen würde. Diese Hoffnung wurde leider enttäuscht- das Regiekonzept war halt nicht konsequent bis zu Ende gedacht oder Bechtolf hat das zu erwartende Gelächter des Publikums gefürchtet. Da die Inszenierung in die Wiener Staaatsoper übernommen werden soll, könnte uns auch Johan Botha als gefleckte Raubkatze bevorstehen…

Daniel Harding setzte auf Lautstärke und harte Kontraste und dirigierte routiniert. Die Begeisterung mancher Rezensenten für diesen „shooting star“ war mir freilich noch nie ganz verständlich.

Viel Applaus nach der fast vierstündigen Vorstellung, am stärksten für Kaufmann und Mosuc, kaum Buhrufe für das leading team, aber Unmutsäußerungen, als Ariadnes großer Monolog immer wieder durch gesprochene Bemerkungen Jourdains unterbrochen wurde.





 






 
 
  www.jkaufmann.info back top