Der Neue Merker
Renate Wagner
Massenet: Werther, Wiener Staatsoper, 28. Januar 2011
WERTHER von Jules Massenet
 
Es war die Dernière dieser Aufführungsserie, mit der Dominique Meyer dem Wiener Opernpublikum endlich wieder gegeben hat, was seine Leidenschaft ist, nämlich einen Weltstar. Allerdings liebt man hier französische Oper nicht so sehr (zumindest nicht so wie die italienische), also konnte bei viermal „Werther“ innerhalb von elf Tagen nicht einmal Jonas Kaufmann, der Ersehnte, die Stehplätze füllen (teure Sitzplätze gab es ebenfalls noch - und Agioteure, die vor der Oper ihr Glück versuchten).

Möglicherweise war die letzte Vorstellung die beste, das Team war die ganze Zeit unverändert (ein Glück, das nicht jeder Produktion zuteil wird, wie die „Cosi“ schmerzlich gezeigt hat) und dürfte schon stark zusammengewachsen sein. Zwischen Kaufmann und Partnerin Sophie Koch entspann sich im dritten Akt und schließlich in seiner Todesszene eine solche Nähe und Dichte, dass man wohl verstand, dass sich die beiden am Ende auch vor dem Vorhang in die Arme fielen. Und Dirigent Frédéric Chaslin verdiente eigentlich keine bösen Worte – mag er auch mehr laut(stark) als subtil unterwegs gewesen sein, er erwies sich als zutiefst mitfühlender Begleiter seiner Sänger, und die Intensität des Abends ging sicher auch auf sein Konto.

Jonas Kaufmann also, der viel Gepriesene, der die Figur des Werther nach eigener Aussage gar nicht so mag, sie sich aber klugerweise dennoch nicht entgehen lässt – da ist einfach zu viel Schönes für einen Tenor drinnen. Dass seine Stimme nie von Anfang an anspringt, haben schon andere festgestellt – sie ist wie eine Batterie, die am Anfang ein bisschen knattert, bockt und zischt, sich aber dann beim Fahren von selbst auflädt, immer besser wird und schließlich läuft wie ein Glöckerl. Dann sind die kleinen anfänglichen Kalamitäten längst vergessen, und man ergötzt sich an dem, was Kaufmann so fabelhaft bietet. Sein Ruhm kommt wahrlich nicht von ungefähr (obwohl man das Gefühl hat, die Vermarktung funktioniere erst so richtig, seit er sich mit Villazon-Locken immer wieder in wahren Pin Up-Posen fotografieren lässt – wir leben in einem optischen Zeitalter). Und dieser Ruhm liegt in der „Höhe“, die im Forte so absolut glanzvoll und strahlend und im Piano so tragfähig ist, wie man es sich nur erträumen kann. Eine fast geflüsterte und dennoch gänzlich präsente Sterbeszene – das muss man können. Kaufmann sang „Pourquoi me rèveiller“ so schön, mit makelloser Technik und vollendetem Ausdruck, dass das Publikum zu rasen begann (der Dirigent klatschte mit) und sich der Tenor nach einiger Zeit, mit der Hand dankend am Herzen, entschloss, die Arie zu wiederholen. Beim zweiten Mal war’s genau so schön.

Und dieser „Tenor“ von Jonas Kaufmann funktioniert, obwohl seine breite Mittellage nach wie vor so dunkel-baritonal timbriert ist, dass es eigentlich nicht wirklich zur Stimmlage zu passen scheint. Für einen Wagner-Tenor macht das natürlich nichts aus (aber was fängt er bei diesem wiederum mit seinen wunderbaren, getragenen Piani an?). Trotzdem, so sehr man den Werther schätzt, man wird sich doch ins Cineplexx begeben müssen und per Kinokarte zusehen, wie er an der Met seinen ersten Sigmund singt…

Was die Darstellung betrifft, so war Kaufmann (im ersten Akt in einer Art schwarzem Mao-Anzug fast wie ein Priesterseminarist wirkend) der junge, unruhige, ungeduldige Mann (der in dieser Inszenierung dauernd Möbel beiseite schleudern muss, weil sie Werther – oder ihn als Sänger? – stören). Nicht viele Frauen würden (Kaufmann weiß, was Frauen wünschen) diesem schwarzen Lockenkopf vermutlich widerstehen können. Kurz, das war schon was.


Sophie Koch hat es nicht ganz so leicht, zumal die Charlotte ja erst im dritten Akt in Fahrt kommt. Sie ist anfangs auch im weißen Kleid und mit eigenem braunen Haar (die schreckliche Monroe-Blond-Perücke, mit der sich die Garanca zur Premiere verhunzen ließ, haben so gut wie alle Nachfolgerinnen verweigert) kein wirklich junger Typ, als Figur eigentlich am überzeugendsten als die resignierte Ehefrau im zweiten Akt, aber dann stürzt sie sich endlich in ihre Liebe. Vor ziemlich genau drei Jahren hat sie in Wien die Charlotte an der Seite des damals scheinbar (aber, wie man mittlerweile weiß, nicht wirklich) genesenen Rolando Villazon gesungen, der stimmlich so wacklig war, dass sie Mühe hatte, ihn nicht niederzubrüllen. Mit Kaufmann trifft sie sich mit ihrer großen, für einen Mezzo hell timbrierten, hervorragend geführten (nur manchmal etwas scharfen) Stimme auf Augenhöhe, und es war, wie gesagt, die Chemie, die da zwischen den beiden stimmte. Natürlich waren sie in der Pariser Inszenierung (auch wenn man diese nur per Fernsehen – arte sei Dank – vergleichen kann) viel überzeugender, weil sie da eben in der Goethe-Zeit agieren konnten. Es macht keinen Sinn, wenn Charlotte Schaumküsse verteilt, statt Brot zu schneiden, und wenn sie im dritten Akt den Fernseher andreht. Und, um mit der misslungenen Inszenierung von Andrei Serban abzuschließen (der doch einen so schönen „Hoffmann“ gemacht hat!) – das begehbare Baum-Allzweck-Bühnenbild findet man auch nicht sinnvoll, wenn man es immer wieder sieht.

Es gibt faktisch nur zwei große Nebenrollen. Ileana Tonca nützte im ersten Akt zu ironischer Wirkung, dass man sie mit Brille, Pferdschwanz und Turnschuhen wie ein hässliches Entlein hergerichtet hatte, war im zweiten Akt (etwas hübscher) amüsant mit ihrer peinlichen Zuneigung zu Werther und im dritten rührend mit ihrem Versuch, Charlotte aufzuheitern.

Adrian Eröd liefert mit dem Albert wieder eine seiner darstellerisch bemerkenswerten Spießer-Studien, aber er wirkte irgendwie wie nicht anwesend (der englische Ausdruck „absent-minded“ trifft es am ehesten), und auch stimmlich hat er schon mehr gegeben. Hoffen wir, dass er all seine Energien für den Billy Budd spart.

Die anderen Herren des Ensembles (Janusz Monarcha, Clemens Unterreiner, Benedikt Kobel) waren gar nicht berühmt bei Stimme, und so war der Anfang der Oper (der auch imbezil inszeniert ist) kein Vergnügen. Dieses stellte sich aber sehr bald ein, und am Ende herrschte volles Opernglück. Jonas Kaufmann bekam am Ende noch einen Blumenstrauß zugeworfen – er hat ihn wahrlich verdient. In anderen Zeiten hätte man ihm vielleicht die Pferde ausgespannt.
 
Es macht wohl keinen Sinn Frau Wagner zu fragen welcher Tenor zuerst mit langen Locken posiert hat. Trotzdem kann ich mir diesen kleinen Bildvergleich nicht verkneifen:
Jonas (2005)

Rolando Villazon (2005 und 2010)






 
 
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