Wahrscheinlich lag es an der kühlen Witterung, dass erst gegen
Ende im Publikum hörbare Begeisterung für die Opern-Stars
aufkam. Anna Netrebko mag es gespürt haben.
München Anna
nicht in den Armen von Erwin, sondern auf Tuchfühlung mit einem
anderen? Was dem Boulevard eine Schlagzeile wert wäre – Krise
beim illustren Sängerpaar Netrebko/Schrott! –, ist jedoch der
Opernkonvention geschuldet. Denn die romantische Oper (mitsamt
ihren Verwandten) will nun mal keinen anderen als den Tenor an
der Seite der Primadonna sehen. Und so rückt im Duett „Toi!
Vous!“ aus Jules Massenets „Manon“ eben der in hoher Stimmlage
singende Jonas Kaufmann eng heran an die Sopranistin Anna
Netrebko – und nicht deren Angetrauter und Kindsvater Erwin
Schrott, der leider ein Bassbariton ist.
Mit solchen
Pikanterien spielt natürlich das „Gipfeltreffen der Stars“, das
Münchner Königsplatz-Freiluftkonzert der weit über die
Operngemeinde hinaus bekannten Vokalartisten Netrebko, Kaufmann,
Schrott. Und doch war der Auftritt der drei Sänger keineswegs
als bloßes Spektakel inszeniert, präsentierte die
Programmauswahl den rund 15000 Zuhörern keineswegs bloß die
üblichen Wunschkonzert-Arien. Ein Schwerpunkt war der
französischen Oper gewidmet, gleich dreimal waren Ausschnitte
aus Charles Gounods „Faust“ zu hören.
So hatte denn auch
die Netrebko ihren ersten Auftritt mit der Juwelenarie der
„Faust“-Marguerite („Ah! Je ris de me voir“), accompagniert von
Publikums-Entzückenslauten, welche nicht zuletzt ihrer zunächst
gelb (und nach der Pause blau) schimmernden Robe gegolten haben
dürften. Wirklich in Bann zu schlagen aber vermag die Russin auf
anderem Gebiet, kommt ihrer Stimme doch nach wie vor der Rang
einer Ausnahmeerscheinung im Fach der lyrischen Soprane zu.
Berückend die Fülle, der Resonanzreichtum, der schiere
Goldglanz, womit sie gerade in höheren Regionen aufzuwarten
vermag. Fabelhaft die Kontrolle über das Organ, wenn sie bei
hoch angesetzten Tönen die Stimme langsam zurücknimmt, etwa in
der „Miserere“-Szene der Leonora aus Verdis „Trovatore“. Und
natürlich leuchtet diese Stimme auch in der Mittellage in
warmen, kraftvollen Farben.
Das Raubtier im Mann
Wer es noch nicht wusste, dass Erwin Schrott mehr ist als der
Mann an der Seite einer famosen Sängerin, der erhielt an diesem
Abend Nachhilfe. Der aus Uruguay stammende Bassbariton verfügt
über prachtvolles Stimmmaterial mit kernig-maskuliner Schwärze,
die einhergeht mit eindrucksvoller Beweglichkeit und einer frei
im Brustregister sich entfaltenden Höhe. Diesem Stimmtyp liegen
natürlich trist bis finster eingefärbte Partien wie die Arie des
Banco „Come dal ciel precipita“ aus Verdis „Macbeth“ oder die
Auftritte des Méphistophèles im „Faust“ von Gounod (darunter „Le
veau d’or est toujours debout“). Leporellos Registerarie aus
Mozarts „Don Giovanni“ dagegen gerät ihm fast ein wenig zu
aufreißerisch: Schrott, der auch den Protagonisten dieser Oper
im Repertoire hat, klingt, wenn er unverhohlen raubtierhaft die
Vorzüge der Frauen verschiedener Nationen aufzählt, mehr nach
Giovanni als nach dessen Diener Leporello.
Ist Erwin
Schrott gerade abgetreten und vernimmt man gleich darauf Jonas
Kaufmann, so ist, trotz verschiedener Stimmgattungen, nicht zu
überhören, dass der Münchner beim Herstellen seines Tons weitaus
mehr Kraft einsetzen muss, dass er sich weniger vom Atem tragen
lässt als sein Kollege von der tieferen Abteilung. Verhauchter
klingt sein Ansatz, wenn er zu „Cielo e mar“ (aus Ponchiellis
„La Gioconda“) anhebt. Freilich: Kaufmann ist ein
außerordentlicher Rollengestalter, der durchwegs höchste Emphase
in seine Stimme legt und dadurch mitreißende Wirkung entfaltet.
Die Musik des Verismo wie geschaffen für ihn, Stücke wie
Turiddus „Mamma, quel vino è generoso“ aus Mascagnis „Cavalleria
rusticana“. Sängerisch aber bleibt Kaufmann limitiert, wie sein
Richard-Tauber-Lied „Du bist die Welt für mich“ zeigt, an dessen
leise intoniertem Schluss er, statt dem Klang gehörig
Brustanteile beizumischen, doch sehr in die Kopfstimme
ausweichen muss.
Herzenswärmer an einem kühlen Abend
Am Materialaufwand für dieses Großereignis war nicht gespart
worden, und so fand sich unterm Bühnenzelt nicht nur ein groß
besetztes Orchester in Gestalt der saftig, wenn auch manchmal
etwas robust musizierenden Prager Philharmoniker unter dem
agilen Marco Armiliato, sondern auch der Philharmonische Chor
München, der in einigen Opernszenen hinzutrat und damit das
Programmspektrum erweiterte. Wahrscheinlich lag es an der zwar
trockenen, aber doch kühlen Witterung, dass erst gegen Ende des
zweiten Teils im Publikum hörbare Begeisterung aufkam. Anna
Netrebko mag es gespürt haben, vielleicht gab sie deshalb den
Zigtausenden auf den Heimweg noch einen rechten Herzenswärmer
mit, „O mio babbino caro“ aus Puccinis „Gianni Schicchi“.
Zuvor übrigens, bei Gershwins „Porgy and Bess“, hatte sie
dann doch noch in die richtigen Arme gefunden. Im Duett „Bess,
you is my woman now“ gab es, von Großmonitoren bis in den
hintersten Königsplatz-Winkel getragen, von Erwin für die Anna
einen Kuss.