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Der Tagesspiegel, 19.5.2011 |
Sybill Mahlke |
Mahler: Das Lied von der Erde, Berlin, Philharmonie, 18. Mai 2011
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Von der Schönheit
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Claudio Abbado mit den Berliner Philharmonikern |
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Maestro des tönenden Schweigens: Wenn – „gänzlich ersterbend“ – Gustav
Mahlers „Lied von der Erde“ verklungen ist, herrscht eine Stille im Saal, in
der das ganze Werk noch einmal präsent ist. Solches Nachdenken im Wortsinn
erreicht keiner wie Claudio Abbado. Es ist eine Zauberkraft, die heute jedem
seiner Auftritte innewohnt.
In beinahe paradoxer Weise wird diese
Ausnahmesituation von Selbstverständlichkeit getragen: Der ehemalige
Chefdirigent kommt zu den Berliner Philharmonikern zurück, um in kollegialer
Gemeinschaft mit ihnen zu musizieren. So hat das Wunder auch mit Vertrauen
zu tun, seitens der Musiker, seitens des Publikums.
Die fragile
Gestalt, die erstaunliche Kondition nach besiegter Krankheit, der leichte
Schritt – alles dient der Arbeit, der Musik.
Präzis am 100. Todestag
Gustav Mahlers, des in diesem Jahr naturgemäß opulent umsungenen
Komponisten, dirigiert Abbado in der Philharmonie ein reines Mahler-Programm
als Sonderkonzert. Zunächst erklingt das Adagio der unvollendeten zehnten
Symphonie, diese von den philharmonischen Bratschen unter Abbados Händen
himmlisch intonierte, zukunftsträchtige Partitur, die mit weiten
Intervallsprüngen und Choral zum Firmament strebt.
Dem folgt ohne
Pause, weil Abbado das Sich-Erinnern und Abschiednehmen beider Werke im
Zusammenhang begreift, „Das Lied von der Erde“ nach Gedichten aus Hans
Bethges „Die chinesische Flöte“. Die gefühlte Spannung im Auditorium ist
grenzenlos.
„Man spricht immer von Mahlers Beziehung zu Wagner oder
zu Bruckner“, sagt Abbado. „Aber für mich ist das Wesentliche seine
Verbindung zu Schubert ... zu seiner Innerlichkeit.“
In der
Interpretation zeigt sich, dass in diesen Orchestergesängen des „Liedes von
der Erde“ die stilistische Unbekümmertheit, die dem Komponisten Mahler nicht
selten vorgeworfen wird, gänzlich verschwunden ist. Gerade aus Anlass der
100. Wiederkehr des Todestages ist daran zu erinnern, dass in den Nachrufen
1911 zwar des genialen Dirigenten Mahler gedacht, seinen Werken aber wenig
Chancen eingeräumt wurden.
Polyphonie, Rezitativ, koloristische
Instrumentation bilden in diesem Fall einen Spätstil eigenen Rechts,
Vorbilder der Zukunft. Alban Berg und Anton Webern wussten das.
Die
Philharmoniker folgen getreulich Abbados organischen, Mahler-korrekten
Tempomodifikationen, wenn „Von der Schönheit“ gesungen wird, und die hellen
Töne jener Welt singt Anne Sofie von Otter so unforciert und fein wie den
„Abschied“ im Duett mit der Zauberflöte im Orchester: „Die Welt schläft
ein.“ Die Nachdichtung des neuromantischen Dichters Bethge kommt hier ganz
zu sich selbst: „Er stieg vom Pferd und reichte ihm den Trunk des Abschieds
dar.“
Die Gesangssoli sind zu feiern wie die instrumentalen.
Jonas Kaufmann verströmt den materiellen Glanz seines Tenors nicht
leichtfertig, sondern mit seinem Singen auch das atmosphärische Strahlen der
Lieder. Eine Meisterleistung! Sie steht dafür ein, dass Mahler den Titel
„Der Pavillon aus Porzellan“ von Li-Tai-Po, wie auch weitere Gedichttitel
des Zyklus, umgewandelt hat in „Von der Jugend“. |
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