Nun habe auch ich eines der Wunderwerke von Calixto Bieito
gesehen, der heute als innovativster Opernregisseur gilt. An
ersten Häusern hat dieses Regie-Genie seine Leistungen bisher
allerdings kaum sehen lassen, er beglückte damit vor allem
Hannover, Frankfurt, Freiburg und Basel.
Fidelio spielt
bei ihm in einem die ganze Bühne bis zum Schnürboden
ausfüllenden Labyrinth aus Stahlstangen, Plexiglas und
Leuchtstoffröhren. Vom Beginn der Ouvertüre ( Leonore III ) bis
zum zweiten Finale kletterten nun die Protagonisten, Choristen
und Statisten mit viel Krawall ununterbrochen in diesem Aufbau
herum. Die Mitwirkenden trugen Sicherungsgürtel, wie man sie
früher zum Fensterputzen anlegte. An diesen Gürteln hingen
Stahlseile mit großen Karabinerhaken. Jedesmal nach Ersteigung
einer Plattform des Bühnenbildes wurden die Karabiner in
Sicherungsseile eingeklinkt. Ich nehme an, da hat die bayerische
Version unseres Arbeitsinspektorates ein Machtwort gesprochen,
denn das ewige Anhängen und Ausklinken der Karabiner wirkte
höchst lächerlich und wegen des damit verbundenen Geräusches
auch sehr störend. Besonders schlimm war es, wenn der ganze
Chor- sehr wohlgenährt und etwas stimmschwach- seine Karabiner
einschnappen ließ. Im allgemeinen schwankten Choristen und
Statisten wie Zombies einher, bisweilen aber begannen sie – vor
allem während der Ouvertüre – so zu hüpfen, dass der ganze
Bühnenaufbau wackelte und krachte. Einige Zombies hingen sogar
an Seilen vom Schnürboden herunter und vollführen
Schwimmbewegungen wie die Rheintöchter. Die Kostüme für alle
könnten aus einer Altkleidersammlung der Caritas stammen. Es ist
auch sehr viel Kunstblut zu sehen, bei den vielleicht
gefolterten Gefangenen ja noch einzusehen, aber warum hat
eigentlich Jaquino ein blutverschmiertes Gesicht ?
Erwartungsvoll sah ich dem Auftritt der Schergen entgegen und
hätte darauf gewettet, dass sie Nazi-Uniformen tragen.würden.
Tatsächlich erklang zwar der berühmte Marsch, aber kein einziger
Soldat zeigte sich ! Bieixto kann halt Chor und Statisterie
nicht sinnvoll bewegen und drückte sich deshalb um diese Szene.
Selbstverständlich waren die Choristen zum Schlusstableau
frontal aufgestellt wie für ein Oratorium.- eine sehr billige
Lösung ! Trotz aller bizarrer Einfälle fand ich die Inszenierung
aber keine Minute langweilig und das ist nicht wenig,
Überraschend und ungewöhnlich, dass es keinerlei
Unanständigkeiten zu sehen gab. Gerne wüsste ich auch, auf wen
der Einfall zurückgeht, vor dem zweiten Finale als Einlage das
Adagio aus Beethovens Streichquartettt „Danksagung eines
Genesenden an die Gottheit“ spielen zu lassen. Die Ausführenden
dieses Satzes wurden in Käfigen vom Schnürboden
heruntergelassen…
Die gesprochenen Dialoge waren bis auf
kleine Reste eliminiert und wurden durch hochtrabende Phrasen
von Jorge Luis Borges ersetzt, die als „innere Monologe“ über
scheppernde Lautsprecher zu hören waren. Einige Sänger benützten
doch tatsächlich Mikrophone, vor allem Leonore in Gestalt von
Anja Kampe. Als Tannhäuser-Elisabeth in Wien erhielt sie
bekanntlich vernichtende Kritiken. Ich war sehr erstaunt, dass
ihr die wesentlich schwierigere Leonore viel besser gelang, vor
allem weil sie ihr störendes Vibrato unter Kontrolle hatte.
Natürlich ist Kampes Stimme für diese Rolle viel zu klein Höhen
wurden, wenn überhaupt, nur mit größter Anstrengung erreicht und
im tieferen Register gab´s nur heiße Luft.
Gottlob hatten
die übrigen Sänger ein anderes Niveau: Jonas Kaufmann
brillierte mit herrlichem Timbre als Florestan. Sein bei „Gott
welche Dunkel hier“ im Piano angesetzter Schwellton auf dem
hohen g, den er in einer Fermate bis zum Fortissimo steigerte,
wird allen die ihn hören durften, unvergesslich bleiben. Auch
die übrigen Passagen seiner leider nur allzu kurzen Rolle waren
mit vollständiger technischer Sicherheit gesungen und das obwohl
der Regisseur ihm zumutete, während seiner Arie- eine der
anspruchsvollsten der Opernliteratur- eine Eisenstange zu
erklettern, sich während der Ensembles an den Füßen über die
Bühne schleifen, sich mit einer Kravatte fesseln zu lassen etc.
Der Charakter des Florestan war übrigens der einzige, der Profil
gewann. Offensichtlich hat nach diesem Regie-Konzept Florestan
im Gefängnis den Verstand verloren, denn er kauerte in den
kurzen Perioden, in denen er in Ruhe gelassen wurde, fast
katatonisch mit gesenktem Kopf auf der Bühne und frisierte seine
Locken manisch mit einem Kamm. Dann hatte er wieder einige
lucida intervalla, etwa wenn er währendes Duettes „o namenlose
Freude“ den himmelblauen Pyjama, den er seltsamerweise als
Gefängniskluft trug, gewandt mit einem dreiteiligen Anzug
vertauschte. Wem außer Kaufmann könnte es gelingen, derartige
Regieeinfälle umzusetzen ohne dabei im mindesten lächerlich zu
wirken, ja damit sogar zu berühren ?
Ausgezeichnet der in Wien viel zu selten eingesetzte Franz-
Josef Selig, der den Kerkermeister Rocco mit balsamischem Bass
sang und Wolfgang Koch, für dessen wunderschönen, kräftigen
Bariton Don Pizarro wiederum eine ideale Rolle darstellte. Der
blutjunge Jussi Myllis sang mit sehr angenehmer Stimme einen
hervorragenden Jaquino. Gerade in dieser Partie hört man sonst
viel zu oft kopfig meckernde Tenöre, die so klingen, als hätte
man sie einer kleinen aber folgenschweren Operation unterzogen.
Von Myllis wurden auch geradezu halsbrecherische
Kletterkunststücke virtuos ausgeführt – er könnte damit glatt in
einem Zirkus auftreten. Steven Humes in der Maske des seligen
Filmstars Heath Ledger als Joker klang etwas trocken. Einen
Minister als Clown auftreten zu lassen, halte ich übrigens für
einen guten, durchaus legitimen Regieeinfall ! Die in Wien gut
bekannte Laura Tatulescu komplettierte nett als Marcelline.
Fabio Luisi hat Fidelio in München abgesagt, vermutlich
zugunsten seiner Verpflichtungen an der MET. Für ihn sprang der
wesentlich bessere Dirigent Adam Fischer ein, unter dessen
umsichtiger Leitung das Orchester der Münchner Staatsoper gleich
um Klassen besser klang als sonst. Etwa 10 Minuten Applaus und,
obwohl keine Première, Buhrufe und Pfiffe für die Inszenierung.