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Opernnetz |
Christoph Broermann |
Gounod: Faust, Metropolitan Opera New York, ab 29. November 2011, Vorstellung am 10. Dezember 2011, Kino
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Gentleman-Faust trifft auf grandiosen Teufel
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Des McAnuff verlegt Gounods Faust in die erste Hälfte des letzten
Jahrhunderts, zwischen die beiden Weltkriege. Sein Faust ist an den Physiker
Jacob Bronowski angelehnt, der sich nach den Bombenabwürfen auf Hiroshima
und Nagasaki der Biologie zuwandte, um die Grundlagen der Gewalt besser
verstehen zu können. So sieht man im ersten Bild den alten Faust in seine
frühere Wirkungsstätte treten, verfolgt von den Geistern der Vergangenheit
und fasziniert von einer schönen Laborassistentin, die später als Marguerite
in Erscheinung treten wird.
Mephisto verwandelt das Labor in Fausts neue Welt, eine Art Experiment
entsteht, immer wieder beobachtet durch Damen und Herren in weißen
Laborkitteln. Dabei bleibt das Metall-Grundgerüst des Labors stets erhalten,
die weißen Gerüste links und rechts mit Wendeltreppe und Zwischenebenen
schaffen nicht nur dreidimensionalen Bewegungsraum, sondern auch akustische
Entfaltungsmöglichkeiten. Spärlich ausgestattet, wirkt das Bühnenbild von
Robert Brill eher kühl, nur in der Gartenszene, mit riesigen roten Rosen,
bricht das etwas auf. Auch die Kostüme von Paul Tazewell verzichten auf
pompösen Effekt, sind dafür historisch glaubwürdig, und die Anzüge von Faust
und Mephisto, zunächst weiß, dann der schwarze Smoking, schön anzusehen.
Trotz neuer Zeit bleibt die Geschichte von Faust die gleiche. Des
McAnuff versucht auch nicht, sie zu verändern, verliert aber zuweilen seine
historische Figur aus den Augen. Lediglich in der Walpurgisnacht, eine
Begegnung mit Strahlenopfern, und im Schlussbild kann er diesen roten Faden
sehr deutlich wieder aufnehmen. Vielleicht ein bisschen zu wenig in
Anbetracht der aktuellen Ereignisse in Japan, aber auch gerade richtig, um
der Oper gerecht zu werden. Viel stärker gelingt seine lebendige
Personenführung.
Noch deutlicher ist allerdings das Dirigat von
Yannik Nezet Seguin, dem mit einem wunderbar aufgelegten Orchester die wohl
beste Leistung in den bislang vier Übertragungen dieser Saison gelingt.
Zärtliche lyrische Momente und düstere Dämonie wechseln sich ab, das Tempo
wird zum Stillstand gebracht, dann wieder vorwärts gedrängt. Yannik Nezet
Seguin weiß, wie er diese Oper musikalisch bebildern kann, und die Musiker
setzen dies eindrucksvoll um.
Das kommt auch Marina Poplavskaya zu
Gute, die die Figur der Marguerite szenisch wie vokal eindrucksvoll und mit
schönem, zuweilen etwas höhenscharfem Sopran entwickeln kann. Jonas Kaufmann
verkörpert den Faust sehr kultiviert, weiß sein ganz persönliches mezza voce
ebenso gezielt einzusetzen wie die strahlende Geste des Tenors. Dieser Faust
ist ein nachdenklicher Gentleman, eine fantastische Leistung des deutschen
Tenors. Michele Losier ist als Siebel äußert präsent und wertet die kleine
Rolle mit schönem Mezzosopran deutlich auf. Russel Brauns markanter Bariton
macht den Todesfluch des Valentin zu einem der eindrücklichsten Momente der
gesamten Aufführung. Doch jederzeit im Fokus der Kamera und im Zentrum der
Aufführung steht René Pape mit einem grandiosen Auftritt als Mephisto, den
er mit majestätischer Erscheinung verkörpert. Da passen große, raumgreifende
Gesten wie der herrische Schwung seines Gehstocks, aber auch für die Kamera
geeignete fiese Blicke. Vokal verlässt Rene Pape nie die geschmackvolle
Linie, vermag dem Teufel trotzdem gerecht zu werden: Seine Rondo vom
goldenem Kalb überrollt die Hörer wie eine Naturgewalt, seine Serenade lebt
von spöttelnder Süffisanz.
Von wenigen Unsicherheiten im Ton
abgesehen, ist die Aufführung auch technisch sehr gelungen. Die
Kameraführung passt sich dem lyrischen Ton der Oper an und wirkt weniger
hektisch als in anderen Aufführungen. Das zahlreich erschienene Publikum in
Münster verfolgt die Aufführung mit großer Ruhe, etliche verpassen es nur,
nach der ersten Pause rechtzeitig zurückzukommen. Am Ende sind einige
Zuschauer sehr bewegt von der Qualität der Aufführung und applaudieren
mehrere Sekunden mit dem Publikum in New York. Eine schöne Geste. Das
Publikum in der Met reagiert dafür umso enthusiastischer. |
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