Nein, Jonas Kaufmann ist mehr als der Liebling vieler Damen,
auch wenn er unter ihnen einige besonders enthusiasmisierte Fans
hat, die sich auch bei seinem Arienabend in der Essener
Philharmonie nicht beruhigen konnten, bevor er noch einen Ton
gesungen hatte und die es kaum auf ihren Plätzen hielt. Grund
dafür gab es einigen, Kaufmann bewies an diesem Abend, dass er
zurecht als einer der ganz Großen der Szene gehandelt wird und
zudem Mätzchen à la Villazon oder Grigolo nicht nötig hat,
sondern weiß, dass er sich in einem Konzertsaal befindet und
einen Arienabend gibt.
Enzos "Cielo e mar" fand ich schon
auf der Verismo-CD den schwächsten Titel, der etwas maulige,
sehr baritonale Ton in der unteren Lage und im Piano ist meine
Sache nicht, aber auch in dieser Arie bewunderte man bereits die
exzellente messa di voce und die enorme Pianofähigkeit, und auch
die üppigen, wenn auch nicht ohne Kraft erzeugten Töne in der
Vollhöhe, die ich am attraktivsten an Kaufmanns Stimme finde,
verfehlten natürlich ihre Wirkung nicht. Die Arie des Romeo aus
Zandonais Shakespeare-Adaption liebt der Sänger mehr als der
Rezensent, aber von Maurizios "La dolcissima effigie" an
steigerte sich der Deutsche mehr und mehr und überzeugte vor
allem durch seine glänzende Phrasierung und die enorme
technische Meisterschaft, die Tiefe der Identifikation mit den
portraitierten Figuren, ohne dass er je auch nur die Grenze zur
vordergründigen Outrage und billigen histrionischen Effekten
streifte. Besonders anrührend gelang ihm Turridus Abschied von
der Mutter, nicht nur wegen der souverän eingesetzten mezza voce
in vielen Passagen, sondern auch weil seine Interpretationen
live mehrdimensionaler und lebendiger geraten als man sie von
der CD in Erinnerung hat. Zudem versteht Kaufmann, wie man eine
Szene aufbaut, wie man mit künstlerischem Geschmack Emphase
kontrolliert.
Davon lebt auch sein Andrea Chénier,
dessen Improvviso er mit einem bemerkenswerten Morendo auf
"firmamento" adelte, während Siegmunds "Winterstürme" wie
manches vorher von der generösen Phrasierung, den vollendeten
Legatobögen und dem reichen Ton lebte, ich mir aber eine noch
präzisere Diktion vorstellen könnte. Ausgesprochen zart und
verinnerlicht (bei natürlich unverändert dunklem Ton und damit
für manchen Fan der heute gern eingesetzten luftigen lyrischen
Tenöre ungewohnt maskulin) begann Kaufmann die Gralserzählung,
es stand einem der Mund offen angesichts der im Pianissimo
genommenen "Taube", aber auch angesichts des kraftvoll, aber
nicht kraftmeierisch angegangenen Schlusses dieser Szene, die
man in solcher Vollendung ausgeführt wohl selten hört.
Und auch in den erst nach langem Beifall gewährten Zugaben
unterstrich der Sänger, wie sehr er sein Instrument beherrscht
und für differenzierte Interpretationen ganz unterschiedlicher
Titel einzusetzen versteht, namentlich "L'anima ho stanca" aus
Adriana Lecouvreur und Refices "Ombra di nube" (freilich hätte
man sich gefreut, nicht nur Titel zu hören, die man aus den
Aufnahmen des Sängers bereits kannte). Mit "Du bist die Welt für
mich" aus Der singende Traum, das Richard Tauber seinem Kollegen
und Freudn Joseph Schmidt gewidmet hatte, reihte Kaufmann sich
selbstbewusst, aber keineswegs zu Unrecht in diese große
Tradition ein - und ließ Gedanken an ein Operettenalbum
aufkommen, denn auch in diesem Repertoire wäre er mit seiner
großen Seriosität ein Gewinn (youtube verschafft da einige
Einblicke), auch wenn man viele der vorstellbaren Titel selten
von einer so dunklen, dramatischen Stimme gehört hat, eine eben
solche aber das eine oder andere Mal ja durchaus vermisst hat.
Dem einen Besucher oder der anderen Besucherin werden es ein
paar Orchesterbeiträge zu viel gewesen sein (dafür blieb einem
ein mittelmäßiger "Gast" erspart, der vielleicht auch Nerven
gekostet hätte), zumal die Bochumer Symphoniker unter Jochen
Rieders ordentlicher Leitung sicher in anderem Repertoire mehr
zuhause sind als in der Oper und hier besonders in der
italienischen. Immerhin, über das muntere Gepolter in Verdis
nicht einfacher I Vespri Siciliani-Sinfonia kam das Kollektiv
dann doch in einigen Stücken hinaus, ohne dass die Ausführung
der berühmten Danza delle ore den nötigen Drive und die
Raffinesse gehabt hätte, um nicht gar so sehr nach Kunsthandwerk
zu klingen, der Wally-Auszug die erforderliche
geheimnisvoll-bedrohliche Spannung geatmet hätte, die er
braucht, und auch bei der Danse Bacchanale stand die technische
Bewältigung und der Spaß am musikalischen Austoben im
Vordergrund, für feinere Akzente und Stimmungen war da kein
Raum, da mochte sich Jochen Rieder am Pult noch so ins Zeug
legen. Und so klangen auch die beiden Lohengrin-Vorspiele noch
etwas unfertig in der Feinabstimmung.