Klassik.com,  1. Juli 2010
Christian Gohlke
Puccini: Tosca, Bayerische Staatsoper, München, 28. Juni 2010
Lauer Festspielauftakt
Im September 2009 wurde die neue Spielzeit der Met mit Luc Bondys Inszenierung der 'Tosca' eröffnet. Die Aufführung schlug hohe Wellen, da der Regisseur beim amerikanischen Publikum gnadenlos durchfiel. „When Mr. Bondy and the production team appeared on stage (...) the audience erupted in boos”, berichtete die New York Times. Sicher wäre er von den erbosten Zuschauern erschossen worden, meinte Bondy jüngst in einem Interview, hätten sie nur Gewehre bei sich gehabt. Die Vorraussetzungen in New York waren freilich nicht die günstigsten: Bondys Arbeit ersetzte die vom Publikum geliebte Inszenierung Franco Zeffirellis, der seinen Nachfolger öffentlich einen „drittklassigen Regisseur“ genannt hatte, ohne die Aufführung auch nur zu kennen.

Nun hat die Bayerische Staatsoper Bondys Inszenierung übernommen, und ab Februar 2011 wird sie auch an der Mailänder Scala zu sehen sein. Solche Kooperationen, die natürlich hinsichtlich der Vielfalt unserer Opernspielpläne beklagenswert sind, bieten die Möglichkeit, Zuschauerreaktionen miteinander zu vergleichen. Welche Resonanz fand diese 'Tosca' in München? Was in New York auf so heftige Ablehnung stieß, wurde im Nationaltheater verhalten freundlich beklatscht. Von Skandal, Empörung und Mordgelüsten keine Spur. Von Begeisterung aber auch nicht. Das lag nicht nur, aber doch vor allem an der szenischen Realisation von Puccinis Opern-Klassiker.

Von einer „sacred-cow-skewering perspective to ‘Tosca’” (NY-Times) wird hierzulande kaum jemand reden wollen. Bondy selbst erklärte in einem Interview, dass er es schreckliche finde, wenn „Regisseure, um die Kritiker zu beeindrucken, dauernd interpretieren und irgendwelche Ideen haben“. Die Oper habe von „vornherein schon alle Ingredienzien, um einen fliegen zu lassen. Man sollte als Regisseur nur dieses Fliegen befördern.“ Dagegen ist nichts zu sagen. Aber diese 'Tosca' vermochte es nicht, die Zuschauer zu beflügeln. Dafür fehlt es der Inszenierung an suggestiven Bildern und an einer bezwingenden Personenführung.

Richard Peduzzi abstrahiert die drei konkret vorgegebenen Schauplätze (Kirche Sant’Andrea della Valle; Scarpias Zimmer im Palazzo Farnese; Plattform der Engelsburg) zwar etwas, behält deren Charakter aber bei und zeigt, ohne auf eine detailreich-naturalistische Ausstattung Wert zu legen, einen Kirchenraum, ein Amtszimmer, ein Flachdach. Zusammen mit den historisierenden Kostümen von Milena Canonero ist damit eine Ausstattung gegeben, die Puccinis Oper einerseits nicht aus ihrer konkreten raum-zeitlichen Verankerung herausreißt, andererseits aber die Gefahr meidet, zum dekorativen Selbstzweck zu werden, und also genügend Freiraum für eine spannungsreiche Personenführung bietet. Was macht der Regisseur daraus? Bondy hält sich eng ans Libretto von Giacosa und Illica. Er will das Stück nicht dekonstruieren, will nicht gewaltsam mit alten Mustern brechen und neue Perspektiven eröffnen, sondern psychologisch nachvollziehbar machen, was sich auf der Bühne ereignet. Das gelingt ihm nur bedingt. Insgesamt bleiben die Figuren blass und konturenarm.

Als besonders problematisch erweist sich der zweite Akt. Dass er einen so schwachen Eindruck hinterließ, lag vor allem an Scarpia, der hier eine Figur ohne jede düstere, schauderhafte Aura blieb. Das hat seinen Grund in Bondys Regie, die ihn zu plakativ als geilen Wüstling darstellt, wird aber durch Juha Uusitalos viel zu monochrome Deklamation noch verstärkt. Seiner Stimme fehlt es an Geschmeidigkeit und Glanz. So gelingt es ihm nicht, das Zynische, gelegentlich auch Einschmeichelnd-Galante dieser Figur vokal auszudrücken. Das Abstoßende und Widerwärtige dieses Charakters resultiert aber doch gerade aus der Kombination brutaler Grausamkeit und gesellschaftlicher Gewandtheit.

Besonders in der Auseinandersetzung mit Scarpia hätte man sich auch von Karita Mattila größeren dramatischen Furor gewünscht. Tosca ist schließlich kein Blumenmädchen, sondern eine Tragödin. Davon war kaum etwas ahnbar. Karita Mattila verfügt zwar über einen leuchtenden, klaren und kraftvollen Sopran, wird damit aber den lyrischen Passagen eher gerecht als den dramatischen Attacken, welche diese Partie ihr immer wieder abverlangen. Wenn etwas in diesem farblosen zweiten Akt unter die Haut ging, dann waren es die 'Vittoria'-Rufe des Cavaradossi, die Jonas Kaufmann mit größter Intensität und wirklich 'con grande entusiasmo' (so die Regieanweisung) hervorstieß.

Dass er nicht nur über enorme Strahlkraft und tenoralen Glanz, sondern auch über zarte Innigkeit verfügt, konnte der umjubelte Liebling des Abends eindrücklich in seiner großen Arie 'E lucevan le stelle' zeigen, in der allenfalls die tiefe Verzweiflung darüber, das geliebte Leben lassen zu müssen, noch ein wenig mehr hätte herausgearbeitet werden können. ('L’ora è fuggita e muoio disperato! E non ho amato mai tanto la vita!') Hier erwiesen sich auch Fabio Luisi und das Bayerischen Staatsorchester als sensible Begleiter. Der satte und farbenreiche Klang und manche schöne Einzelheit konnten aber nicht vergessen machen, dass man streckenweise zu dem Eindruck gelangen musste, Luisi zerdehne die Partitur und lasse es an dramatischer Prägnanz fehlen.

So gab es für den Dirigenten wie für Mattila, Uusitalo und Bondy leidenschaftslosen, müd-konventionellen, mit schüchternen Buh-Rufen durchsetzten Beifall. Einzig Jonas Kaufmann wurde einhellig gefeiert. Seine Leistung versöhnte ein wenig mit dieser matten Festspielpremiere.






 
 
  www.jkaufmann.info back top