rbb kulturradio, 15. Mai 2010
Andreas Göbel
Brahms: Rinaldo-Kantate, Konzert in der Philharmonie Berlin, 14. Mai
Philharmonie Berlin: Die Berliner Philharmoniker unter Claudio Abbado
 
Mit Jonas Kaufmann, Tenor
 
Es ist schon fast eine kleine Tradition: Einmal pro Saison beehrt der ehemalige Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, Claudio Abbado, sein "altes" Orchester, und wie immer kannte auch diesmal der abschließende Jubel kaum Grenzen, auch schon, als Chor und Orchester die Bühne verlassen hatten. Das Berliner Philharmoniker-Publikum liebt Claudio Abbado. Und nicht zuletzt deswegen kann sich Abbado auch ungewöhnliche Programme leisten. Reine Orchestermusik fehlte diesmal fast völlig; statt dessen stand Vokalbegleitung auf dem Programm – mit Johannes Brahms‘ "Rinaldo"-Kantate als abschließende Rarität.

Claudio Abbado ist ein Magier des Klangs
Kaum steht er am Pult der Philharmoniker, da klingt es plötzlich wieder wie zu Zeiten, als er dort noch Chefdirigent war – und teilweise sogar noch besser. Die Begleitungen von drei orchestrierten Schubert-Liedern blühten auf: orchestraler Glanz ohne das geringste Staubkorn; am Rande des Hörbaren in Nacht und Träume, dann wieder heftig und präsent im Erlkönig, aber nie lärmend, sondern als körperlich spürbare Energie, die sich in den Saal ausdehnt. Abbado erzählt durch das Orchester. Das Zwischenspiel aus Arnold Schönbergs Gurre-Liedern ist bei ihm ein funkelndes Feuerwerk, das sich zu einer Klangorgie steigert, um dann im Lied der Waldtaube in Düsterkeit und ergreifende Trauer zu versinken. Eigentlich hätte man dabei auf den Gesang verzichten können, so direkt und sprechend spielten die Philharmoniker; das macht Abbado kaum jemand nach.

Kann man als Sänger gegen diese orchestrale Macht bestehen?
Ganz schwer wird es, wenn man wie die niederländische Mezzosopranistin Christianne Stotijn dem so wenig entgegen zu setzen hat. Sie versuchte sich in Abbados Klangwelten einzudenken; dennoch wirkte ihre Stimme entweder schneidend und blechern – oder sie wurde übertönt. Daran trug jedoch Abbado keine Schuld; ihre Stimme ist für diese Anforderungen einfach zu klein. Daneben gestaltet sie zu wenig. In Schuberts "Erlkönig" musste sie auf engstem Raum gleich vier Rollen unterscheiden: den Erzähler, den Vater, den Sohn und den Erlkönig. Dennoch war es kaum auseinander zu halten. Auch im Lied der Waldtaube blieb ihre Gestaltung trotz einiger Wärme im tiefen Bereich zu eindimensional, zudem von mangelhafter Textverständlichkeit.

"Rinaldo"
Ein unbekannter Brahms ist dessen Rinaldo, eine gut vierzigminütige Kantate für Tenor, Männerchor und Orchester. Sie zeigt den Komponisten auf seinem Weg zum großen Sinfoniker. An manchen Stellen lässt sich einiges erahnen, was dann in seinen Sinfonien zu vollen Entfaltung kommt. Das Werk lässt aber auch deutlich werden: Brahms war noch nicht ganz dort angelangt, wo er eigentlich hinwollte. Tenor Jonas Kaufmann ist dort stark, wo mit Strahlkraft und Schmelz, kurz: mit Herz und Seele seine Partie erfüllen kann, auch wenn man sich mitunter des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass er diese noch nicht ganz verinnerlicht hatte. Uneingeschränkt grandios präsentierte sich der Männerchor, zusammengesetzt aus dem Rundfunkchor Berlin und dem Chor des Bayerischen Rundfunks mit einer beeindruckenden Präsenz. Das war kein Brüllen, sondern ein satter Klang – eine Macht, vor der man besser in Deckung geht. Claudio Abbado deutete im Orchester vor allem die melancholischen Schattierungen der Partitur an, fein und dezent, um sich am Ende gemeinsam mit dem Chor in einen Rausch zu steigern. Ein Triumph für den Dirigenten, der sich zu Recht gefeiert sah. In genau einem Jahr, vom 13. bis zum 15. Mai 2011, ist Claudio Abbado wieder bei den Berliner Philharmonikern zu Gast. Dringende Empfehlung: vormerken!
Andreas Göbel






 
 
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