Echo.online, 14.10.2010
Christian Knatz
Schubert: "Die schöne Müllerin, Frankfurt, Alte Oper, 12. Oktober 2010
Liebe tönt nicht immer laut
 
Musik: Der Tenor Jonas Kaufmann wandert mühelos zwischen den musikalischen Welten
 
Naja, könnte man sagen, es geht ja immer um dasselbe: Liebe, Lust, Leid, und am Ende ist jemand tot. Das ist nicht ganz falsch, aber höchstens die halbe Wahrheit: Mit dem, was er gerade macht, wandert Jonas Kaufmann zwischen Welten. Gerade hat der Münchner Tenor eine CD mit Arien des »Verismo« herausgegeben - italienische Opernmusik ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren Schöpfer - Pietro Mascagni oder Ruggiero Leoncavallo - eine Idee verband: große Gefühle mit großem musikalischen Aufwand auszudrücken, um die schnöde Welt so auf die Bühne zu bringen, wie sie sie sahen.

Und nun steht derselbe Jonas Kaufmann mit seinem Klavierpartner Helmut Deutsch auf der Riesenbühne der Alten Oper Frankfurt und verwandelt diese mit Franz Schuberts Liederzyklus »Die schöne Müllerin« in ein stilles Kämmerlein. Dass der 41 Jahre alte Opernstar das kann, hat er mit einer CD schon bewiesen. Und doch ist es kaum zu glauben, dass der da vorn derselbe ist, der eben noch mit Glanz und Glamour aus dem Lautsprecher die Liebespein des Romeo in Riccardo Zandonais »Giulietta e Romeo« geschmettert hat.

Damit ist bei Schubert nichts zu holen, der im Sinne seines Dichters Wilhelm Müller die Wunden einer Seele in Bildern aus der Natur einfängt. Kaufmann versucht es nicht mal im besitzanzeigenden »Mein« des entflammten und später betrogenen Müllerburschen mit Auftrumpfen. Durfte er beim Verismo - für Kaufmann »die ekstatischste Musik« - Farbe mit der Rolle auftragen, so muss er in Frankfurt mit dem Pinsel ran. Kaufmann verdingt sich aber nicht einfach als Maler der Schubertschen Landschaften, sondern als großer Künstler.

Das abschließende Wiegenlied auf einen Zerbrochenen ist bei ihm pure Zauberei; erstaunlich viele Nuancen bringt er im Schnellsprech-Stück »Der Jäger« unter, und die Fahlheit der »lieben Farbe« ohne Vibrato und ohne Terz scheint unübertrefflich. Kaufmanns Bittersüße in den »trockenen Blumen« des tödlich Enttäuschten lässt dann doch einen Augenblick lang an die Wirkungstreffer einer italienischen Opernszene denken.

Das Leiden im Gesang hat umso größeren Effekt, als der Tenor zuvor mit Eifer die Spielarten des Verliebtseins durchdekliniert hat. Auch die Neigung, bei Sprüngen gelegentlich etwas zu schmieren, kann als Plus an Authentizität durchgehen.

Tod und Verderben kommen bei Schubert auf leisen Sohlen daher: eine Molltrübung hier, plötzlich stockende Begleitfiguren da. Das alles glaubhaft zu verkörpern, gelingt Kaufmann nicht nur wegen des Reichtums seiner Stimme; nur zu Beginn schien sich eine gerade überwundene Erkältung in der Höhe bemerkbar zu machen. Für den Erfolg braucht es auch einen Mitspieler, der nicht einfach Begleiter sein will. Helmut Deutsch kann mit wenigen Noten, das jeweils Wesentliche skizzieren: Euphorie oder Einsamkeit. Das Manko allzu nahtloser Übergänge zwischen den Liedern macht er wett mit kleinen Kunststücken: Im Nachspiel des ziemlich munteren »Tränenregens« etwa steckt die ganze Geschichte, die Jonas Kaufmann erzählt.

Bei beiden hat man den Eindruck, dass musikalisches Verständnis und Wahrhaftigkeit in eins gehen. Das sind gute Voraussetzungen, um zwischen den Welten zu wandern und dabei zum Gipfel zu gelangen.






 
 
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