Der Neue Tag, 27. Juli 2010
Anastasia Poscharsky-Ziegler
Wagner: Lohengrin, Bayreuth, 25. Juli 2010
Laborratten und ein gerupftes Schwänchen
 
99. Bayreuther Festspiele eröffnen mit der Neuenfels-Neuinszenierung von "Lohengrin" - Geschmacklosigkeit zum Schluss
Den Wagner-Freunden schwante schon lange nichts Gutes. Niemand anders als der Krefelder Hans Neuenfels (Jahrgang 1941), das Enfant terrible der deutschen Opernwelt und noch von Wolfgang und Gudrun Wagner für die Neuinszenierung verpflichtet, schuf für die 99. Richard-Wagner-Festspiele den fälligen "Lohengrin" mit einer Debütantenmannschaft.

Neuenfels gab dem Premierenpublikum am Sonntag skandalöse Bilderrätsel auf - bis hin zum Schock. Während des 15-minütigen Schlussapplauses kämpften übermächtige Buhs gegen wenige Bravos und braven Beifall. Die beiden Wagner-Schwestern stützten den gescholtenen Regisseur an beiden Seiten. Doch dieser zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. Bundeskanzlerin Angela Merkel war in der Königsloge aufgesprungen und äußerte später, sie habe es "toll" gefunden. Nie sollst du mich befragen ...

Abstruser Alptraum

Das romantische Märchen, das um den Gralsritter Lohengrin (der nur namenlos in der realen Welt bestehen kann), Elsa und das Frageverbot nach seiner Identität kreist, wird bei Neuenfels zum abstrusen Alptraum. Angesiedelt ist die Handlung natürlich nicht im Brabant des 10. Jahrhunderts, sondern in einem weißen Tierversuchslabor des 21. Jahrhunderts findet "die Oper aller Opern" (Kritiker Joachim Kaiser) statt.

Von der Gerichtseiche, unter der Elsa wegen des angeblichen Brudermords ihr Todesurteil empfangen soll und von Lohengrin errettet wird, ist nur eine vertrocknete Zimmerpflanze in einem versifften Blumentopf übrig, eine Bazillenschleuder, die niemals in eine sterile Umgebung gehört.

König Heinrich wurde stimmlich stark und körperlich gebrochen von Georg Zeppenfeld überzeugend gegeben, als Heer-Rufer erfreute Samuel Youn durch große Farbigkeit. Dem edlen Paar Elsa/Lohengrin (Annette Dasch/Jonas Kaufmann) standen feindlich Friedrich von Telramund (Hans-Joachim Ketelsen sprang kurzfristig für Lucio Gallo ein und hielt sich wacker) und die hexenböse Ortrud gegenüber: Evelyn Herlitzius entschied sich hier stimmstark für einen rücksichtslosen Egotrip und versuchte auf Teufel komm raus die zwei Hauptrollen an die Wand zu spielen, ja niederzusingen. Sie bot damit die spannendste Komponente dieser Inszenierung.

Der über hundertköpfige Chor (hervorragend einstudiert vom erfahrenen Eberhard Friedrich) steckte als Soldatenheer in Rattenkostümen mit blinkenden roten Augen und eklig wabbelnden großen Pfoten. Immer wieder häutete sich die Meute, um in gelben Fräcken oder in Feiertagsschwarz zu täuschen.

Ausstatter Reinhard von der Thannen, der mit Neuenfels schon zwei Wagner-Opern ("Die Meistersinger" und "Tannhäuser") produzierte, wagte eine unverschämte Anspielung auf die Fernsehsendung der Berliner Sopranistin. Er ließ Annette Dasch in der "Kemenate" eines gläsernen Waschsalons um ein Schwanen-Götzenbild wandeln, dem von der Hexe Ortrud anschließend der Kragen umgedreht wurde.

50 zwei Meter lange Neonröhren und drei "Heiligenscheine" blendeten die Augen des Publikums über vier Stunden und verbreiteten die Gemütlichkeit eines eiskalten Operationssaals. Nicht nur wegen dieser übertriebenen Beleuchtung roch es bei dieser Inszenierung unangenehm nach viel heißer Luft.

Wagners Musik mit ihren 39 herrlichen Leitmotiven enttäuschte jedenfalls nie: Die silber-blaue Ouvertüre entfachte narkotisierende Wirkung, herrliche Bläsersätze und Fanfaren gelangen erhebend - alles in allem wurden alle Mitwirkenden vom lettischen Dirigenten Andris Nelsons (Schüler von Mariss Jansons) gut zusammengehalten.

Kann man über die Ratten ja wenigstens noch lachen, über das gerupfte Schwänchen am Bühnenhimmel immerhin lästern - die widerliche Geschmacklosigkeit zum Ende schlug dem Fass den Boden aus: Elsa stirbt, Lohengrin macht sich auf den Weg zurück in seine Gralsburg, und auf dem Flachboot fährt ein Gegenstand heran, der sich als kindsgroßes Schwanenei entpuppt. Nach einer Drehung ist ein Uterus mit einem Ungeborenen zu sehen, das den wiederkehrenden Gottfried, den Bruder Elsas, verkörpert. Dieser klettert aus seiner Behausung, zerreißt die Nabelschnur und wirft sie frech auf die am Boden liegenden Protagonisten.

Doch tatsächlich geboren wird an diesem Premierenabend ein neues Sängerpaar: Der Begriff "Traumpaar" ist strapaziert und abgegriffen. Aber was soll man machen, wenn er schlicht und ergreifend zutrifft - auf Annette Dasch und Jonas Kaufmann.






 
 
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