Salzburger Nachrichten, 22.10.2010
ERNST P. STROBL
Liederabend, Konzerthaus Wien, 20. Oktober 2010
Ein Kaufladen mit verdüsterten Seelen  
 

Ist ja wie Weihnachten: Alle berühmten Sänger, die man sich nur wünschen kann, ziehen im Wiener Konzertbetrieb vor einem vorbei. Jonas Kaufmann, Bryn Terfel, Rolando Villazón, Juan Diego Floréz, lauter Publikumslieblinge. Den Beginn machte am Mittwoch Jonas Kaufmann, derzeit auf einer Welle des Erfolgs. Um präzise zu sein, es ist vor Weihnachten, ein Schelm, wer da an neue CDs für den Gabentisch denkt. Jonas Kaufmann hat jüngst eine CD mit Verismo-Reißern – voller Leidenschaft – herausgebracht (bei Decca), im Konzerthaus präsentierte er aber ein schweres Liederprogramm. Es war nicht deckungsgleich mit dem wegen Erkrankung abgesagten Salzburger Festspielabend, dennoch zeigte es Kaufmann besinnlich mit Schumann und Mahler.

Trotzdem herrschte dezenter Starglanz, „Suche Karte“-Schildchen inklusive. Um den virilen Deutschen ist nicht nur dank seines guten Aussehens ein Griss, nach der Eroberung von Bayreuth hält ihn nichts mehr auf. Nach Wien kam er nicht als tenorale Stimmungskanone, sondern Ausdruckssänger im besten Sinn. Schlichtheit ist seine Sache nicht, wenn auch die Inbrunst im erzählerischen Sinn kontrolliert ausbrach und kernige Aufschwünge opernhafte Kräfte freiließen. Robert Schumanns frühe Lieder, dann die Fünf Lieder op. 40, dazwischen die packende „Belsatzar“-Ballade, zum Abschluss des ersten Teils weitere von Todesschatten getönte Lieder – Kaufmann fühlte sich in diesem Dunkel hörbar immer wohler. Gustav Mahlers todtraurige „Kindertotenlieder“ mit langem Atem und Anteilnahme faszinierten. Wenn Jonas Kaufmann mächtig aufdreht, geht das ohne Anstrengung. Andere würden rote Gesichtsfarbe kriegen. Die sorgsame Diktion und Phrasierung ist vorbildlich, die typisch baritonale Grundierung macht noch die hohe Kopfstimme nobel. Helmut Deutsch wirkte als markanter Mitgestalter am Flügel, sowohl bei Schumann als auch in Mahlers Schmerzensmusik.

Der Jubel erzwang vier Zugaben, Schumanns „Mondnacht“ beruhigte.Buchtipp: Wer wissen will, wie Jonas Kaufmann tickt und sympathisch bescheiden, mit charmantem Schalk auf seine Karriere zurückblickt: Alle Lebensstationen bis hin zur Met werden dokumentiert, das Buch ist lehrreich und dennoch unterhaltsam. Thomas Voigt, „Meinen die wirklich mich“, Henschel Verlag, 174 S.






 
 
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