Der Neue Merker, 21.10.2010
Dr. Georg Freund
Liederabend, Konzerthaus Wien, 20. Oktober 2010
Wien/Konzerthaus: Liederabend Jonas Kaufmann am 20.10.2010
 
Im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses hatte Jonas Kaufmann gestern einen seiner raren Wien-Auftritte, aber bekanntlich gilt: carum, quod rarum.- wertvoll ist, was selten ist. Direktor Holender nennt in seinen Memoiren Kaufmann zwar „den derzeit weltbesten Tenor“, hat ab er leider nur für ganz wenige Auftritte des Tenorstars in der Staatsoper gesorgt. Das soll nun besser werden, denn angeblich sind in den nächsten Jahren bei uns Neuproduktionen von Lohengrin und Fanciulla del West mit Jonas Kaufmann geplant.
 
Der Mozartsaal ist nicht groß und daher  an und für sich bestens für den Liedgesang geeignet, aber der gestrige Auftritt fand im Rahmen eines Zyklus statt und war daher fast ausabonniert, was zu heftigem Gerangel um die wenigen überhaupt in den Verkauf gelangenden Karten führte. Gar zu viele Interessenten mussten wie in Bayreuth leer ausgehen. Das Durchschnittsalter der Abonnenten war nicht viel höher als das der Abonnenten der Philharmonischen Konzerte , aber dem Sänger des Abends gelang es auch dieses überreife, lebenserfahrene Publikum, das sonst recht gern auf seinen Händen sitzt, zu enthusiastischen Reaktionen zu veranlassen. Schon beim Auftritt Kaufmanns und seines Pianisten Helmut Deutsch, der sein Lehrer an der Musikhochschule war und der ihn ständig bei seinen Liederabenden begleitet, gab es Beifall, den andere Interpreten erst nach einer vorzüglichen Leistung  am Schluss ernten können.
 
Kaufmann selbst nennt den Liedgesang „die Königsklasse des Singens“ und er schätzt die Vielfalt des dramatischen Ausdrucks, den ihm diese Disziplin gestattet.
Das Programm umfasste Werke der beiden Jahresjubilare Schumann und Mahler. Nach einem vehementen Beginn mit Heines Tragödie I folgte das resignierende „ Es fiel in Reif in der Frühlingsnacht“. Die von Trauer erfüllte Interpretation der letzten Zeile „sie sind verdorben, gestorben“,  wird man wohl nicht so schnell vergessen. Überhaupt war das Programm von tiefstem Ernst erfüllt- nahezu alle vorgestellten Lieder auf Gedichte von Heine, Hans Christian Andersen in Chamissos Übertragung oder von Geibel und Rückert  handelten von Tod, Liebesleid und Verzicht. Mich haben im ersten Teil des Abends besonders die düster-pessimistischen, Andersen-Lieder beeindruckt, von denen „Der Soldat“  die Erschießung eines geliebten Freundes schildert Hervorragend dabei die Interpretation des Klavierparts , der den Marschrhythmus und den Trommelklang des Exekutionspelotons imitiert. Zuvor konnte Kaufmann bei Heines Belsazar seinen Opernerfahrung in die Interpretation dieser Ballade, die nichts weniger als den Kampf des eponymen babylonischen Königs mit Gott selbst schildert, einbringen. In Geibels Zigeunerliedchen II konnte man Kaufmanns technisch stets sicheres ätherisches Piano besonders gut bewundern.
 
Niemals während des gesamten Liederabends, rettete er sich ins Falsett, jeder gesungene Ton war rund und baritonal gestützt und niemals begann er, wie dies so viele Liedinterpreten  gerne tun, zu säuseln. Dabei konnte Kaufmann bei den ausgewählten Liedern seine Hauptstärke, die scheinbar mühelos produzierte  strahlende Höhe, kaum einsetzen. Ganz besonders hervorzuheben ist die beispiellose Wortdeutlichkeit, die ohne die derzeit beliebte Konsonantenspuckerei erzielt wurde und die ein Mitlesen der  Lieder fast entbehrlich machte.
 
Nach der Pause Mahlers aufwühlende, in existentielle Tiefen vorstoßenden Kindertotenlieder für mich der Höhepunkt des Abends. Bei der in berückendem Piano vorgetragenen Phrase des zweiten Liedes „Ihr wollt mir mit eurem Leuchten sagen: Wir möchten nah dir bleiben gern“ wurden Taschentücher gezückt. Wunderbar die resignative Trauer des Liedes „Wenn dein Mütterlein“ und das Aufbegehren gegen das Schicksal im letzten Lied. Eine sehr gut passende Ergänzung dazu bildeten Lieder aus des Knaben Wunderhorn, darunter auch Urlicht.
 
Kaum ein anderer Sänger vermag es, Liedtexte intellektuell derart zu durchdringen und auszuschöpfen sowie die dargestellten Emotionen auf das Publikum zu übertragen. Das bescherte dem Künstler Ovationen und Jubel und brachte dem Publikum als Zugabe 4 weitere Lieder von Schumann und Strauss. Mit Schumanns Mondnacht, diesem Inbegriff deutscher Romantik , endete der Abend glanzvoll.
 






 
 
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