Der Neue Merker
Georg Freund
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, 21.2.2010
Zürich: „KÖNIGSKINDER“ (Engelbert Humperdinck) 21.2.2010
Humperdincks Märchenoper „Königskinder“ ist im angelsächsischen Raum offenbar wesentlich beliebter als im deutschen, wo Aufführungen leider sehr selten sind. Das kann nur am Text liegen: Die Geschichte von der Gänsemagd, die als Gefangene der Hexe im Wald lebt, sich in den als Bettler verkleideten Königssohn verliebt und dann gemeinsam mit ihm an vergiftetem Brot der Hexe stirbt, ist eigentlich schlicht und wirksam, die Botschaft von der Überwindung von Standesunterschieden und sogar des Todes durch die Liebe ist nicht ungewöhnlich. Das Libretto ist aber sehr düster und unversöhnlich und zudem symbolisch und allegorisch überfrachtet.

Die Musik des Werkes bietet freilich ungetrübten Genuss. Humperdincks Stil zeichnet sich durch meisterhafte Polyphonie aus, die nie aufdringlich und gelehrt wirkt. Volksliedhafte Elemente werden in Wagners freilich individuell abgewandelter Tonsprache vorgetragen. Die Vorspiele zu den drei Akten können fast als symphonische Dichtungen angesprochen werden. Ingo Metzmacher erwies sich als souveräner Interpret des Werkes. Er spürte den kunstvollen Strukturen der Komposition nach, zeigte Mut zur Emphase und strebte gottlob nicht den derzeit modischen mageren Klang an. Das Orchester der Züricher Oper spielte klangschön: Die Musiker meisterten die heiklen Hornpassagen ebenso virtuos wie die Solopassagen der Oboe, der Flöte und der Violine. Wäre der Orchestergraben nicht so tief, hätte alles noch brillanter geklungen, wäre aber natürlich weniger sängerfreundlich.

Ausgezeichnete Solisten waren aufgeboten: Allen voran in der ungemein schwierigen Partie des Königssohnes der großartige Künstler Jonas Kaufmann: Seine Stimme ist in allen Lagen ausgeglichen, herrliches samtiges, fast baritonales Timbre und strahlende Höhen zeichnen sie aus. Kaufmanns makellose Technik erlaubt ihm auch feinste Pianophrasen – höchst selten bei einem so heldischen Organ. Dazu treten hervorragende Wortdeutlichkeit und eine stets tief empfundene Interpretation des Textes. Sein bereits angekündigter Siegmund wird zweifellos spektakulär ausfallen. Kaufmann verfügt auch über glänzendes darstellerisches Talent: Die Wandlung des anfangs draufgängerischen, ja fast kraftmeierischen Prinzen zu einem mitfühlenden Menschen gelang ihm überzeugend. Der 3. Akt, in dem die Königskinder ihren tristanesken Tod durch Hungern und Erfrieren erleiden, spielte er mit seiner Partnerin zusammen ungemein berührend. Auch Heiterkeit vermag er glaubhaft ohne billige Clownerien darzustellen und selbst in seiner tiefsten Erniedrigung, wenn er als Schweinehirt Abfälle einsammeln muss, bleibt er jeder Zoll ein Königssohn. Glaubhaftes, der Rolle entsprechendes Aussehen des Interpreten ist eine angenehme, auf unseren Bühnen selten dargebotene Zutat.

Isabel Rey als seine Partnerin wirkte als Gänsemagd ungemein poetisch und spielte sehr intensiv. Sie hat eine schöne Stimme, stößt bei der anspruchsvollen Partie allerdings etwas an ihre Fachgrenzen: Einige scharfe Höhen und manchmal leichtes Tremolo waren nicht zu überhören. Der Spielmann, die dritte Hauptrolle des Stückes, fiel gegenüber den Leistungen des Liebespaares stark ab: Oliver Widmer verfügt nur über einen etwas fahlen Bariton von begrenztem Volumen. Man hätte sich gewünscht, dass der schönstimmige Reinhard Mayr, der die kleinere Rolle des Holzhackers exzellent sang und ambitioniert spielte, mit ihm getauscht hätte. Makellos gesungen und gespielt von Liliana Niketeanu wurde die interessante Mezzorolle der Hexe. Für alle übrigen Mitwirkenden, auch den ausgezeichneten Chor, ein Pauschallob.

Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog aus dem Jahre 2007 nimmt dem Stück alles Märchenhafte, das freilich sehr leicht in Kitsch abgleiten könnte, bietet scharfe, dem Werk durchaus inhärente Gesellschaftskritik, die nicht aufgesetzt wirkt und punktet durch sehr intelligente Personenführung und Zeichnung der Charaktere. Die Oper spielt in dieser Produktion etwa um 1960, Aktionsraum ist eine Art Turnhalle, die im 1. Akt als Gewächshaus der Hexe für Giftpflanzen eingerichtet ist. Im 2. Akt stellt das Einheitsbühnenbild einen Versammlungsraum der spießigen, geldgierigen Bürger von Hellastadt dar und im 3. dringt durch die nun zerbrochenen Fenster des Saales Schneegestöber ein, in dem die Liebenden umkommen. Die Bühnendekoration ist durch ein Dach gegenüber dem Schnürboden abgeschlossen, was für vorteilhafte Akustik sorgt. Die hautig im Stück erwähnte Gänseherde wird witzig durch Papierfiguren dargestellt. In der sehr erfolgreichen Uraufführung der Königskinder an der MET wurden echte Gänse eingesetzt, was zweifellos Probleme, vor allem wohl akustische, involviert hat. Die Kostüme sind einfach, aber tragbar und vorteilhaft für die Sänger. Auch die Lichtregie verdient besondere Hervorhebung. Nach dem sanften, unsäglich traurigen Verklingen der Oper herrschte eine Zeit lang ergriffenes Schweigen, dann aber folgten tosender Applaus und Bravorufe der sonst so zurückhaltenden Schweizer, vor allem für Kaufmann.

Am Vorabend hatte ich die von Harnoncourt geleitete Premiere von „Idomeneo“ gehört – da klang die Zustimmung des Publikums viel weniger enthusiastisch.






 
 
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