Bonner Generalanzeiger, 23.12.2010
Gabriele Luster
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Gefangen im Labyrinth
Calixto Bieito verzichtet bei der Neuproduktion "Fidelio" an der Bayerischen Staatsoper auf Schock
 
Calixto Bieito ist endlich auch in München angekommen. Als Drastiker auf Blut, Schweiß und Sperma setzend, hat der leise, freundliche Katalane die Opernbühnen von Hannover bis Basel aufgemischt und seine oft beeindruckende Gewaltspur hinterlassen. Bei der Neuproduktion von Beethovens "Fidelio"an der Bayerischen Staatsoper verzichtet der Regisseur auf plakative Schock-Elemente, gibt der Gewalt zwar Raum, aber fasziniert eher mit einem intelligenten Konzept und mit einer stringent auf die Musik zielende Dialog-Neufassung, die sicher auch auf anderen Bühnen Fuß fassen wird.

Der Regisseur greift nicht zu Enzensbergers Fassung, sondern streicht die Texte rigoros und lässt die Sänger an exponierten Stellen nur wenige Worte von Jorge Luis Borges rezitieren. Etwa aus dessen "Labyrinth", das als Idee die Inszenierung überhaupt prägt: Bieito ließ sich von der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst ein mehrfach hintereinander geschachteltes Labyrinth aus Stahl und Acryl hochkant auf die Bühne stellen. In diesem imponierenden, neonleuchtenden Gestänge klettern durchgehend zerlumpte Akrobaten herum. Aber auch die Sänger müssen in schwindelnde Höhen (bis zu acht Meter) und klicken sich immer wieder - wie die Elektriker am Strommast - mit einem Karabiner an die Stahlseile. Eine Sicherheitsvorkehrung, die zum Symbol für das Gefangensein, das Angekettetsein aller Protagonisten wird.

Neben der Dialog-Version bestach eine weitere gravierende Veränderung: Vor dem Finale wurde nicht wie üblich die Leonoren-Ouvertüre Nr. III (die gab es vorweg) gespielt, sondern das gekürzte Molto Adagio aus Beethovens Streichquartett a-Moll op.132. Gefangen in Käfigen schweben die vier Musiker über dem Labyrinth und öffnen den Weg in eine andere Dimension...

Fremd, fast enttäuscht, haben sich zuvor Leonore und Florestan gegenübergestanden. Da half es wenig, dass sie rasch in ihre Alltagskleider schlüpften - wieder aussahen wie früher. Sie sind andere geworden. Darüber kann auch der plakative Schlussjubel mit phonstarkem Riesenchor und einem Minister, der als clownesker "Joker" ("Batman") den lässigen Entertainer mimt, nicht hinwegtäuschen. Irritierend, wenn er die Pistole auf Freund Florestan richtet, ihn "erschießt"... Ein Schreck-Schuss, der reicht, um diesen gefolterten, malträtierten Gefangenen niederzustrecken. Jonas Kaufmann gibt ihm eine schmerzliche Intensität. Das ganz langsam aus dem Nichts anschwellende "Gott" zu Beginn seiner Arie erschüttert. Ähnlich bedingungslos wirft sich Anja Kampe in die Partie der Leonore. Sie berührt von Beginn an: Wenn sie sich die Brust flach bindet, wenn sie alle Gefühlsfacetten in der großen Arie auffächert, wenn sie, die weiche und warmherzige Frau sich in den Säure-Angriff auf Pizarro steigert. Schade nur, dass ihre Höhe oft angestrengt und flach klingt. Mittellage und Tiefe hingegen sind bestens ausgeprägt und jedes Wort ist verständlich. Franz-Josef Selig stattet Rocco mit seinem sonoren Bass aus und gibt dem ebenfalls Geschundenen darstellerische Präsenz. Mit fast viehischer Rohheit trumpft Wolfgang Kochs Pizarro auf. Stimmlich eher schwach besetzt absolvieren Marzelline (Laura Tatulescu) und Jaquino (Jussi Myllys) ihre Kletterpartien mit Anstand. Am meisten enttäuschte allerdings Daniele Gatti am Pult des Bayerischen Staatsorchesters.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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