Neues Deutschland, 27.12.2010
Roberto Becker
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Gegen die Wand
 
Bayerische Staatsoper München: Calixto Bieito inszenierte Beethovens »Fidelio«, als wäre es ein Werk von Kafka
 
Was hat es nicht schon alles auf der Bühne gegeben, um Beethovens einzige Oper szenisch möglichst nah an den Lobpreis von Freiheit und Gattenliebe heranzuführen. Das Singspielhafte in all das Pathos einzufügen, ist dabei nur eine der Klippen. Sich nicht zu sehr aus der Balance bringen zu lassen, wenn sich die Sänger der angestaubten Sprechtexte annehmen, eine andere. Hinzu kommt die immer etwas heikle Frage, ob die als Fidelio getarnte Leonore die Befreiung ihres eingekerkerten Ehemannes Florestan wirklich bis zu Ende durchdacht hat ...

Aber es geht ja vor allem um die Utopie der Liebe und die Kraft der Freiheit, und wenn sich einer wie Calixto Bieito an das bürgerliche Bekenntniswerk macht, dann darf man durchaus auf einiges gefasst sein. Der Katalane tut so, als würde eigentlich Kafka hinter der Geschichte stecken und nicht die Autoren mit ihrem vor zweihundert Jahren noch unschuldig lodernden bürgerlichen Freiheitspathos. Die gesprochenen Dialoge hat Bieito kurzerhand gestrichen und durch knappe andere ersetzt. Das Fehlen des Bekannten löst aber selbst dann, wenn man sich sonst immer an ihnen stört, einen gewissen Phantomschmerz aus. Dafür hat Bieito der Leonore (bevor sie sich vor aller Augen in Fidelio verwandelt) Jorge Luis Borges Text »Labyrinth« und dem Mörder Pizarro ein Credo des Bösen von Cormac McCarthy in den Mund gelegt.

Das transparente, zweiteilige und bewegliche Labyrinth, mit dem Rebecca Ringst die Münchner Opern-Bühne füllt, hat durchaus die Qualität eines eigenständigen Groß-Kunstwerkes, kommt aber nicht ganz ohne Eigengeräusche und Eigengesetzlichkeiten als Bühnenbild aus. Hier muss man nicht nur ziemlich sportlich klettern können. Dabei profilieren sich besonders die (auch stimmlich) attraktive Marzelline Laura Tatulescu mit ihren hochhackigen Schuhen, aber auch ihr sportlicher Jaquino (Jussi Myllys).

Auch all die anderen haben ein enormes Laufpensum, sozusagen »gegen die Wand« zu absolvieren. Irgendwann hat man sich auch an das Klacken der Sicherheitsseile gewöhnt. Und wenn sich der Gefangene, der beim Gefangenenchor zum Leise-Sprechen mahnt und vor dem Belauschtwerden warnt, mit besagtem Seil erdrosselt, dann gewinnt dieses technische Utensil inhaltliche Bedeutung.

In dem Labyrinth, dessen vorderer Teil im zweiten Aufzug effektvoll nach hinten abkippt, erscheint schon am Anfang ein ziemlich depressiver Florestan im Schlafanzug. Völlig gebrochen, wie ein eingeschüchtertes Kind, streicht er sich immer mal mit dem Kamm durch die Haare. Bei den unmittelbar von der dritten Leonoren-Ouvertüre in ein Flackern des Labyrinthes übergehenden Tönen wird er obendrein geschüttelt wie von Elektroschocks beim Foltern. Zu Bildern direkter Gewalt kommt es sonst nur, wenn sich der pathologisch bösartige Don Pizarro (grandios diabolisch: Wolfgang Koch) selbst mit dem Messer blutig verletzt und ihm Leonore dann so was wie Säure über den Kopf schüttet. Wobei nicht ganz klar ist, wozu Rocco (überzeugend: Franz-Josef Selig) und sie das mit in den Kerker genommen haben.

Ansonsten entkommen die bekannten Musiknummern nie der beklemmenden Ausweglosigkeit des Labyrinths, das alle seine Bewohner traumatisiert hat. Wenn Don Fernando (Steven Humes) aufkreuzt, dann wird das zu einem surrealen Einbruch aus einer anderen Welt. Er sieht aus wie Jack Nicholson als Joker, der meldet sich aus der Loge und erschießt dann als Akt der Befreiung seinen Freund Florestan. Bieito spiegelt in den Repräsentanten des Systems, das dieses Labyrinth ermöglicht, jene Willkür der Herrschenden, die Gnade oder Verdammung nach Gutdünken aussprechen können. Das wirkt auf den ersten Blick absurd, hat aber durchaus Sinn.

Einen wirklichen Coup gibt es in dieser Inszenierung, die fulminant beginnt und dann vorhersehbar abgespult wird, aber doch. Sein Misstrauen gegenüber Beethovens jubelndem Pathos übersetzt Bieito in eine musikalisch-szenischen Einfügung – mit einem Stück aus dem spätem Streichquartett op. 132 des Komponisten. Dazu schweben die Musiker in drei Käfigen aus dem Schnürboden herab, verharren über dem Labyrinth und stellen damit das folgende Finale eindrucksvoll in Frage. Man mag selbst zu einer anderen Antwort kommen wie der skeptische Bieito – die Frage aber macht Sinn und ihre ästhetische Form ist originell.

Musikalisch bleibt der Abend zwiespältig. Besondere Erwartungen richteten sich an Startenor Jonas Kaufmann, die er vor allem da, wo er sich in strahlenden Höhen seines Tenors aufschwingt, auch erfüllte. Anja Kampe wirft sich mit Emphase in ihren Fidelio bzw. ihre Leonore, wobei sie die letzte dramatisch leuchtende Überzeugungskraft schuldig bleibt. Als problematisch erwies sich Danile Gatti am Pult des Staatsopernorchesters. Sein unklar routiniert bleibendes Interpretationsprofil und ein diffuses Drauflos brachten ihm schon nach der Pause kräftige Buhs ein, die sich dann wiederholten. Buhs für Bieito gingen in der überwiegenden Zustimmung unter.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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