Passauer Neue Presse, 23. Dezember 2010
Hannes S. Macher
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Liebe im Labyrinth
 
„Fidelio“ in Calixto Bieitos Regie-Überaktionismus in München - Triumph für das „Traumpaar“ Anja Kampe und Jonas Kaufmann
 
.So tief wie das Bohrloch im Golf von Mexiko muss wohl der Kerker gelegen sein, in dem Florestan als Staatsfeind dahinvegetiert. Denn viel Zeit benötigen der Kerkermeister Rocco und die als Mann verkleidete Leonore, bis sie - während das Orchester schweigt - unter Höllenlärm und begleitet von menschlichen Flugobjekten tief unten im Verlies ankommen.

Doch nicht in Dunkelhaft ist Florestan hier dem Hungertod ausgeliefert, sondern er robbt vor der von der Bühnenbildnerin Rebecca Ringst gestalteten, in grün-fluoreszierendes Licht getauchten Fassade einer schicken Designerwohnung hin und her. Und nicht nur trocken Brot hat Leonore alias Fidelio für ihren Geliebten im Tiefsee-Marschgepäck, sondern auch ein hübsches blaues Kleidchen für sich und einen modischen Anzug für Florestan. Schließlich wollen beide den Kerker ja nicht in Lumpen, sondern in Designerklamotten verlassen, nachdem Don Pizarro als Repräsentant des Feudalismus von Leonore noch schnell mit Nitroglyzerin übergossen worden ist. Da gab’s schon einiges Gelächter im Publikum und muntere Zwischenrufe von den Rängen im Münchner Nationaltheater über diesen und anderen Schabernack bei der Neuinszenierung von Beethovens einziger Oper.

Nicht - wie üblich - als Freiheitsfanal (gar mit historischen Anklängen an Napoleons Schreckensherrschaft oder die Errettung von Nationalsozialismus und Kommunismus) wollte Calixto Bieito „Fidelio“ inszenieren, sondern ohne jeglichen politischen Hintergrund als Parabel über die Probleme zwischenmenschlicher Beziehungen. Und so tummeln sich die Protagonisten auf einem mit grell leuchtenden Neonstäben markierten Klettergestänge wie Artisten unter der Zirkuskuppel. Ein Labyrinth der Gefühle möchte der katalanische Regisseur hiermit aufzeigen und bleibt dabei in seinem schier unstillbaren Drang nach stetiger Action in Albernheiten und Absurditäten hängen, die mit Beethovens fesselnder Freiheitsoper wenig in Einklang zu bringen sind.

Schade auch, dass der Dirigent Daniele Gatti dem schrillen Überaktionismus der Inszenierung sich angepasst und statt der vielen zarten Töne dieses Werkes größtenteils nur dem Fortissimo gehuldigt hat. Allein Beethovens im 3. Akt eingebautes Streichquartett op. 132 a-Moll, das die Musiker in drei über der Bühne schwebenden Käfigen zelebrieren, vermittelt das filigrane Flair großer Gefühle. Ansonsten meist nur donnerndes Sonntagmittagskonzert.

Einzig die sängerischen Leistungen sind ein Genuss: Neben Franz Josef Seligs schön-schwarzem Rocco-Bass und dem perlenden Sopran von Laura Tatulescu als Marzelline-Flitscherl, neben Wolfgang Kochs weichem Bariton als Sandler-Gouverneur Don Pizarro und dem mächtigen Bass von Steven Humes als weißgeschminkte Kasperlfigur Don Fernando brilliert das unschlagbare Opern-Traumpaar Anja Kampe und Jonas Kaufmann als Leonore und Florestan. Zwei Stimmen, die betören.

Donnernde Buhs und hysterische Beifallsbekundungen des Premierenpublikums für den Regisseur, enthusiastischer Applaus für das Sängerensemble. Ein „Fidelio“, der sich im Klettergerüst verheddert hat.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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