Donaukurier, 22.12.2010
Barbara Angerer-Winterstetter
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Im mentalen Gefängnis
 
 
München (DK) Seit seinem Stuttgarter "Parsifal" ist er für drastische Bilder bekannt: Der katalanische Regisseur Calixto Bieto, der am Dienstagabend in München sein Staatsopern-Debüt mit Beethovens "Fidelio" gab.
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Für die Gefängnis- und Befreiungs-Oper mit dem Sieg der treuen Gattenliebe und der Gerechtigkeit hat Bühnenbildnerin Rebecca Ringst ein raumfüllendes Labyrinth aus Metall und Neonröhren gebaut, das faszinierend ausgeleuchtet wird (Licht: Reinhard Traub). Nicht unbedingt ein Gefängnis, eher ein mentales Labyrinth, in dem die handelnden Personen gefangen sind.

Zusätzliche Texte

Gleich zu Beginn zitiert Leonore einen Text von Jorge Luis Borges – er heißt "Labyrinth" und spiegelt wie die anderen eingefügten Sprechtexte eindrucksvoll Verwirrung und Verlorensein wider. Verloren in ihren Gefühlen sind die Personen: Leonore, die durch die Macht der Liebe ihren Gatten Florestan befreien will und von Zweifeln geschüttelt wird, Marzelline und Jaquino, die nicht zusammenkommen, Rocco, den vor allem das Geld interessiert – und der bei Bieito durch seine Gefängnistätigkeit die Grenzen der Menschlichkeit überschritten hat. Wie die anderen Menschen, die schon zur Ouvertüre (hier statt der Fidelio-Ouvertüre die beeindruckend aufpeitschende "Leonore III") gleich Insekten in schwindelerregende Höhen des Labyrinths klettern und dabei an Wände und Stäbe wie an elektrische Zäune prallen, ist auch der politische Gefangene Florestan ein Gefangener seiner selbst, zeigt Spuren von Hospitalismus und kämmt sich ständig manisch das Haar.

Im ersten Teil vor der Pause wirkt die Personenführung durch die Kletteraktionen eingeschränkt; greifbare Profile entwickeln sich dafür im zweiten Teil intensiver. Das mächtige Labyrinth klappt langsam zu einem tiefen Dauerton schräg nach hinten, aus grün ausgeleuchteten Höhen schweben Menschen an Seilen herab. Es ist, als ob die Zeit stehen bliebe: Das Gefühl des seit Jahren gefangenen Florestan wird beklemmend wie noch nie umgesetzt.

Ein ebenso magischer Moment ist, das gerettete Paar Florestan-Leonore zu erleben. Hier gibt es keine ekstatische Umarmung, sondern ein vorsichtiges Herantasten an den anderen, eine Fremdheit zwischen den Liebenden, die nach jahrelanger Trennung nachvollziehbar ist. An diesem Punkt lässt Bieito das Stück stillstehen und senkt in Käfigen von oben ein Streichquartett (Sonderlob fürs Odeon-Quartett!) herab, das Beethovens "heiligen Dankgesang" aus dem Streichquartett 132 a-moll mit Gänsehauteffekt spielt.

Zur Schlussapotheose kommt der Minister Don Fernando in zweideutiger Joker-Maske und richtet irritierend die Pistole auf Florestan. Eine Scheinerschießung, die tatsächlich die letzten Fesseln löst und das Paar aus seiner Erstarrung löst? Oder gilt der Schuss doch dem Bösewicht Pizarro? Etwas beklemmend Unheimliches haftet diesem Schlussbild an – auch wenn der Sieg der Liebe gefeiert wird.

Überraschend viel Jubel und nur wenige Buhs gab es fürs Regieteam, überraschend viele für Dirigent Daniele Gatti, der nach Bayreuth und Salzburg auch in München die Geister scheidet. Auffallend seine unterschiedlichen Tempi – von extrem gedehnt bis überdreht schnell. Seine kontrastreiche Interpretation fügt sich jedoch nahtlos ins Bühnengeschehen ein.

Dominanz von Kaufmann

Die Sängerriege wurde eindeutig dominiert durch Jonas Kaufmann, der nach Lohengrin und Cavaradossi nun seine dritte Partie an der Münchner Staatsoper singt: Die Höhen in der Florestan-Arie kommen einwandfrei, wenngleich sein sehr baritonal gefärbter, manchmal etwas eng klingender Tenor in punkto Timbre Geschmackssache ist. Seine Spezialität – die Nuancen im Piano auszuloten und sein warmes Mezzavoce – sind allerdings betörend. Anja Kampe als Leonore bringt extrem viel lyrische Fähigkeiten mit und eine sichere Mittellage, die Höhen aber klingen im Laufen des Abends immer gequälter. Positiv fallen Wolfgang Koch als stimmgewaltiger Pizarro und Franz-Josef Selig als Rocco auf. Auch über die Besetzung der Marzelline (Laura Tatulescu), Jaquino (Jussi Myllys) und Don Fernando (Steven Humes) kann man nicht klagen. Klanglich höchst differenziert präsentiert sich der Chor der Bayerischen Staatsoper unter Sören Eckhoff. Alles in allem: Ein bewegendes Openereignis, das kein "Schocker" geworden ist.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
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