Fränkischer Tag, 22.12.2010
Monika Beer
Beethoven: Fidelio, Bayerische Staatsoper, 21. Dezember 2010
Verloren im mentalen Gefängnis
 
Premiere Calixto Bieito gelingt am Münchner Nationaltheater eine fesselnde Neuinterpretation der Beethoven-Oper "Fidelio". Den Run auf die Karten gab es schon vorher - wegen Tenorstar Jonas Kaufmann.
 
Calixto Bieito, der katalanische Opernschreck, im Münchner Nationaltheater - kann das gut gehen? Und ob! Selbst wenn bei der Premiere vorgebliche Bildungsbürger im Zuschauerraum zu Beginn des 2. Akts pöbelhaft in die Szenerie hineinblökten und es am Ende die obligatorischen Buhrufe für den Regisseur gab: Seine "Fidelio"-Inszenierung ist brillant, erschütternd, überraschend und bedenkenswert, ist große Musiktheaterkunst.

Alle Solisten sind erstklassig
Was natürlich auch damit zu tun hat, dass diese Produktion schon von den Solisten her erstklassig besetzt ist - und zwar von den Hauptfiguren bis hin zu den kleinen Nebenrollen. Wann sonst schaut man schon nach, wer den 1. und 2. Gefangenen gesungen hat? Die Namen von Dean Power und Tarek Nazmi, zwei Mitgliedern des Opernstudios der Bayerischen Staatsoper, darf man sich jedenfalls merken. Gleiches gilt für das vermeintliche, in jeder Hinsicht bewegliche Buffopaar mit Laura Tatulescu als Marzelline und Jussi Myllys als Jaquino sowie für Steven Humes, der als Don Fernando auftrumpft wie Heath Ledgers Joker in "The Dark Knight". Einen Psychopathen der direkteren Art stellt Wolfgang Koch als Don Pizarro mit sängerdarstellerischer Wucht auf die Bühne, Franz-Josef Seligs zurückgenommener, aber ebenso prägnanter Rocco zeigt, wie auch ein kleines, auf Korrektheit bedachtes Rädchen sich die Hände schmutzig macht.

Die Maschinerie, in die Florestan (überragend: Jonas Kaufmann) und seine Frau Leonore (fast ebenbürtig: Anja Kampe) geraten sind, ist kein herkömmliches Gefängnis. Denn statt in einem Unrechtsstaat lässt Calixto Bieito Beethovens Freiheitsoper in einem futuristisch anmutenden Labyrinth spielen, das Rebecca Ringst mit technischem Aplomb ausgestattet hat. Es geht hier um eine etwas andere Freiheit - um die Freiheit von Gedanken und Gefühlen, es geht darum, dass auch das Unterbewusstsein, die menschliche Psyche ein Kerker sein kann. Nur weil der Regisseur, anders als viele befürchteten, sich Bilder à la Abu Ghraib oder Guantánamo verkniffen hat, ist das noch lange nicht unpolitisch. Im Gegenteil: "Die mentalen Gefängnisse", sagte er vorab, "sind in unserer Gesellschaft von größerer Relevanz als die realen Gefängnisse einer Diktatur."

Selbst die Liebe ist brüchig
Also ist in seiner Inszenierung jeder hauptsächlich mit sich selber beschäftigt, beachtet den anderen nicht, redet und hört nicht mehr zu. Nur Leonore, die sich als Mann verkleidet aufmacht, um ihren Gatten zu retten, scheint unerschütterlich an die Liebe zu glauben. Erst als Florestan sich zunächst verweigert, blickt auch sie hoffnungslos ins Leere. Es gibt zwar den Schlussjubel, aber indem Florestan sich nach wie vor an seinen hellblauen Schlafanzug (Kostüme: Ingo Krügler) klammert, wird klar, wie brüchig alles ist.

Es ist ein Abgrund, in den diese "Fidelio"-Interpretation uns schauen lässt - schon deshalb, weil hier alle Gefangene sind, auch und gerade die Nicht-Gefangenen. Die eingefügten Texte von Jorge Luis Borges und Cormac McCarthy wirken nicht aufgepfropft, sondern verdichten die Atmosphäre der Ausweglosigkeit. Und dennoch ist diese Szenerie voller Poesie, weil einige starke, von Tänzern kunstvoll bewegte Bilder, weil der Gesang und die Musik konkret von der Utopie sprechen, mit jemandem davonzufliegen.

Kein Held, aber ein Glücksfall
Jonas Kaufmann ist auch als Florestan ein Glücksfall. Darstellerisch kein Held, sondern ein heillos gebrochener Mann, setzt er mit seinen berückenden stimmdynamischen Ausdrucksfinessen unerhörte Akzente: ein Tenor mit viel Strahlkraft, Farbe und Glanz, der endlich den Fokus auch auf die vielsagenden leisen, delikaten Stellen legt. Dass Anja Kampes Leonore bei der Premiere ein paar Spitzentöne nicht ganz bewältigte, schmälert ihre Leistung nicht. Sie ist eine der wenigen jungen Sängerinnen, die dem hochdramatischen Fach gewachsen scheint.

Apropos: Dirigent Daniele Gatti setzte leider viel zu oft Dramatik mit Lautstärke gleich, was weder der Ouvertüre Leonore III zu Beginn noch der "Fidelio"-Fassung von 1814, auf der die Produktion basiert, noch den von Sören Eckhoff einstudierten Chören immer gut bekam. Und so blieb am Dienstag instrumental der stärkste Eindruck dem Odeon-Quartett vorbehalten, das in Gitterkästen herunterschwebend vor dem Finale II geradezu traumhaft schön Beethovens spätes Streichquartett op. 132 a-moll musizierte.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
  www.jkaufmann.info back top