Opernglas, Januar 2011
J. Bartels
Ciléa: Adriana Lecouvreur, Royal Opera House, 18 November 2010
Adriana Lecouvreur
 
 
Ein Stück als eine Liebeserklärung an das Theater, vom Regisseur als ebensolche in Szene gesetzt - es war schlichtweg der in jeder Hinsicht perfekte Opernabend, der dem Königlichen Londoner Opernhaus gelang. Als etwas zu melodisch süffiges Vehikel für Primadonnen zu Unrecht in Verruf geraten, hat Francesco Cileas »Adriana Lecouvreur« mehr zu bieten als eine Vielzahl von gängigeren Opern des Repertoires.

Fast wollte es anfangs scheinen, als hätte es sich Regisseur David McVicar trotzdem mit prächtigen Kostümen (Brigitte Reiffenstuel) und einer imposanten drehbaren Theaterbühne auf der Bühne (Charles Edwards), angelehnt an das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth und mit dessen geschwungenen Bühnentreppen auch als Haus der Duclos und als Palast des Fürsten Bouillon perfekt adaptierbar, recht einfach machen wollen, indem er sich auf plüschiges Ausstattungstheater verließ. Doch weit gefehlt. Zeitlos aktuell und so gar nicht angestaubt gelang sein Blick hinter die Kulissen im geschäftigen, mit Tratsch gespickten Theaterbetrieb, auf Neid und Rivalitäten, Selbstbezogenheit und Verletzlichkeit von dessen Protagonisten, vor allem aber die scharfe Sicht in die heimischen wie höfischen Boudoirs, in denen sich früher wie auch heute noch einerseits im Privatleben der Stars alles nur um das Theater, den eigenen Erfolg oder das Missgeschick der anderen dreht, es aber auf der anderen Seite mit der gesellschaftlichen Anerkennung des „fahrenden Volkes" in der feinen Gesellschaft durchweg nie so weit her war und ist, wie man gemeinhin anzunehmen geneigt ist. Als Schmuckstück glanzvoller Feste war auch die historische Diva Adrienne Lecouvreur, Star der Comédie Francaise, jederzeit willkommen gewesen, für eine ehrenhafte Beerdigung hatte die Bewunderung der Zeitgenossen hingegen damals ganz plötzlich nicht gereicht. So sind es auch hier am Ende einzig die Künstler, die noch einmal mit Format vortreten, um sich vor der sterbenden Adriana tief zu verneigen, und einer der ihren den gebührenden Respekt zu zollen wissen. Ehrlicher und berührender als in diesem Moment können keine Musik und keine Regie dem Theater huldigen und den Zuschauer berühren.

Des Standesunterschiedes war sich auch ein Moritz von Sachsen wie ganz selbstverständlich stets bewusst gewesen - im Hause der Bouillons beispielweise, wo nicht nur Adriana einen schweren Stand hat, sondern auch die geladene Balletttruppe (sehr unterhaltsam und hinreißend perfekt „Das Urteil des Paris" in die Vorweihnachtszeit choreografiert von Andrew George), wenn plötzlich ein pikantes Verhältnis doch so viel spannender wurde als jede Theateraufführung.

Dass der Opernbesucher es indes in keinem Momentan Aufmerksamkeit fehlen lassen konnte, ist nicht nur der gut gebauten Handlung und Cileas stets perfektem Timing zu verdanken, sondern vor allem einer überragenden Angela Gheorghiu in der Titelpartie. Seit langem zählt sie in ihrem Fach zu den ganz Großen, doch will eine Diva wirklich in die Geschichte eingehen, braucht es eine Rolle, für die sie legendär wird. Wie die Tosca zum Beispiel, mit der dies aber vor wenigen Jahren und an gleicher Stelle noch nicht so recht klappen sollte. Für die Adriana lässt sich möglicherweise eine andere, aber schlichtweg keine bessere Interpretation denken als die, die jetzt nahtlos zu den Rolleninkarnationen einer Magda Oliviero oder der der ganz anders gearteten Mafalda Favero aufschließt. Keine Phrase, kein Halbton, der der Gheorghiu auch nur annähernd unperfekt gelungen wäre, keine Färbung, keine Geste, die nicht völlig ungekünstelt aus tiefempfundener Musikalität hervorkäme. Anders noch als bei ihrem Debüt in Berlin wagte sie im eröffnenden „Io son l'umile ancella" auch die für veristische Partien unbedingt erforderliche breitere Farbgebung in der Mittellage, ohne dass das den silbrigen Höhenschleifen irgendeinen Abbruch getan hätte. Und wie die phänomenale und völlig unprätentiöse Rezitation von Racines „Phèdre" bruchlos in die gesangliche Eruption mündete, zählte zu den wirklich großen Momenten, die das Theater bieten kann. Die Gheorghiu mag zurzeit unvermindert als die zickigste Diva im Opernbusiness gelten, in ihrer makellosen technischen und stilistischen Perfektion und der ohne jede Abstriche künstlerischen Ernsthaftigkeit erlebte man an diesem Premierenabend nichts weniger als die derzeit vielleicht beste Sängerin der Welt. Blickt man daneben auf weitere Giganten wie Anna Netrebko und Renee Fleming, auch zwei Diven, deren heute kaum anzugreifende Leistungen sich längst allzu kleinlicher Kritik zu entziehen wissen, hat dieser eine Auftritt von Angela Gheorghiu auf hochkünstlerische Weise einen Schlussstrich unter jede Vergangenheitsverklärung gezogen und das bestmögliche Plädoyer für die Dauerhaftigkeit einer Kunstform überhaupt gehalten.

Diesem magischen Ereignis erfolgreich zu stellen wusste sich auch in London wieder Jonas Kaufmann als der sich im wahrsten Sinne des Wortes in sie verbeißende Verliebte, der ewig turtelnde, aber wenig zuverlässige Moritz von Sachsen. Schloss man die Augen, glaubte man stimmlich fast eine imposante Eins-zu-eins-Kopie von Plácido Domingo mit noch freierer Höhe zu hören. Und vielleicht nicht zufällig hat Kaufmanns Stimme gelegentlich mit einem ähnlichen Problem zu kämpfen: So eindrucksvoll das in der Mittellage breit und cremig geführte Organ im Ariosen auch klingen mochte, ein wohl fokussierter Sopranton in dezenter Lautstärke konnte dieser Stimmwucht mühelos Klangfarbe rauben und sie von einer Sekunde auf die andere wie heruntergedimmt erscheinen lassen.

Leider war neben diesem seine Kusstechniken charmant ausspielenden Liebespaar der sich nach Adriana verzehrende Michonnet - eigentlich eine musikalisch wie szenisch zentrale Figur - mit dem problematisch alt klingenden und ebenso ältlich aussehenden und aufbereiteten Alessandro Corbelli unglücklich besetzt. Der selbstlos liebende Inspizient der Comédie Francaise wurde von der Regie nicht als ernstzunehmender Mitbewerber ins Spiel gebracht, sondern konnte als „Rosinas Bartolo" nur eingeschränkt als unbedingter Sympathieträger punkten. Als zickiger Besen mit witzig resolutem Auftreten wusste hingegen die großgewachsene Michaela Schuster mit sachkundigem, allerdings nicht ganz erstklassigem Mezzo beim Publikum zu Recht zu punkten.

Mark Elder am Pult hat es gut verstanden, punktuelle wie großflächige Stimmungsbilder entstehen und den großen Bogen nie abbrechen zu lassen und dennoch mit unerhörter Akribie das Orchester seinen Starsolisten und deren gelegentlich sehr ausdifferenzierter Liebe zu kleinsten Details und Nuancierungen gnadenlos unterzuordnen.

Ein bejubeltes Großereignis als Startschuss für eine internationale Tournee zumindest der brillanten Inszenierung, die vom Royal Opera House noch nach Barcelona, Paris, Wien und San Francisco reisen soll.

Der Erfolg speziell der Londoner Besetzung war am Premierenabend jedenfalls so durchschlagend, dass die Verkündung einer kurzfristigen Absage von Angela Gheorghiu in einer der folgenden Aufführungen der Premierenserie zu Tumulten im Publikum führte, die das Haus bis dahin in solchem Ausmaß noch nicht erlebt hatte.






 
 
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