Operinwien, 11.05.09
Dominik Troger
Puccini: Tosca, Wien, 9. Mai 2010
Zu (?) expressive Tosca
 
Diese samstägliche „Tosca“-Vorstellung versprach ein interessanter Abend zu werden: Catherine Naglestad als Tosca mit Hausdebüt, Jonas Kaufmann mit Rollendebüt an der Staatsoper, dazu eine Wiederbegegnung mit Ruggero Raimondi als Scarpia.

Zuallererst durfte man sich am präsenten Angelotti von Clemens Unterreiner erfreuen und am herzlich-skurillen Mesner von Alfred Sramek – ehe Jonas Kaufmann die Bühne betrat. Kaufmann besitzt die Physiognomie eines Renaissancemalers, und weiß sich mit künstlerischer Lässigkeit zu bewegen. Außerdem kann es einem Sänger nur nützen, wenn er auch im äußeren Erscheinungsbild hochgespannten Erwartungshaltungen entspricht.

Seine dunkle, breite Stimmfärbung ist Geschmacksache und wird, je nach Vorlieben der Zuhörer, in unterschiedlichen Partien mehr oder mit weniger goutiert werden. Die Stimme erhält dadurch einen besonderen Reiz, der in der ausgesungenen Mittellage viel Virilität verströmt. Auch die Höhe spricht gut an, kann sich öffnen und den dunklen Stimmgrund überstrahlen. Problematischer schien an diesem Abend das Piano, oft sehr leise ausfallend, wenig tragend und etwas unflexibel in der Höhe. Beim „E lucevan le stelle“ fehlte überhaupt der phrasierende, die Arie zur Einheit überspannende Bogen, ausgehend von einer sehr leise halbsprech-gesungenen „Einleitung“. Der Gesamteindruck dieses „Opernschlagers“ war insgesamt ein ziemlich zerstückelter.

Kaufmanns Rollenauffassung schien zuerst vom unbedarften Künstler auszugehen, den er leider den ganzen Abend lang nicht mehr los wurde. Seine Lässigkeit, mit der er im ersten Akt Tosca begegnete, ist aus der Situation noch irgendwie erklärbar. Ob man diese Haltung aber nicht spätestens dann aufgeben sollte, wenn man einem Scarpia gegenübersteht und mit Folter und Mord bedroht wird? Auch dem „Vittoria“, zwar kräftig gesungen und lange ausgehalten, fehlte die überraschende, emotionale Explosion, die Cavaradossi wie ein Blitz durchzuckt. Das hatte schon ein bisschen einen Schaustelleffekt, wie Kaufmann hier zur Sache ging. Allerdings – mit Pier Giorgio Morandi am Pult – hatte er keinen Partner, der ihm mit dem Orchester entgegengekommen wäre: vor allem die Lautstärke hätte Morandi des öfteren zügeln müssen. Hier sollte man sich für die Folgevorstellung noch besser abstimmen.

Catherine Naglestad besitzt eine Stimme mit leicht angedunkeltem Timbre, die zugleich eine gewisse Härte und Unnahbarkeit ausstrahlt. Ihre Tosca war sehr emotional, fast hysterisch angelegt. Sie forderte auch ihre stimmlichen Ressourcen schonungslos, als sie im Finale nur mehr expressive, grelle Spitzentöne von sich gab, Toscas Verzweiflung in den Himmel über der Engelsburg hinauszuschreien. Im Spiel – drei oder vier Messerstiche für Scarpia müssen schon sein – wurde schnell klar, dass sie eine Tosca des modernen Musiktheaters mimt, das immer panische Angst davor hat, Oper könnte als „schön" empfunden werden. Das „Vissi d’arte“ zeigte denn auch die Grenzen auf, da fehlte es am kultivierten Reifenlassen des Ausdrucks, fand die leicht flackernde Stimme nur bedingt zur erhofften Innigkeit. Doch es sei unbestritten, dass Nagelstadt mit ihrem forschem Zugang ein spannendes Rollenportrait gelang, das sie auch stimmlich bis zum Schluss konsequent und solide durchgezogen hat. So dicht gesät sind einigermaßen ansprechende „Tosca“-Sängerinnen auch wieder nicht, als dass man zu wählerisch sein dürfte.

Ruggero Raimondi zeigte an diesem Abend, was „Operngesang“ wirklich ausmacht, von Kopf bis Fuß ein Scarpia mit dämonischer Lüsternheit und Brutalität, die sich zuerst hinter nobler, perfider Zurückhaltung verbirgt. Die Stimme ist natürlich in die Jahre gekommen, hat an Geschmeidigkeit verloren, klingt rauher und etwas ergraut, sie ist in ihrer Robustheit und in ihrer Erfahrung aber nach wie vor von hörenswerter Qualität. Auffallend, dass sie immer noch sehr kompakt klingt und kaum ein Vibrato zu kennen scheint. Dass es ihr manchmal ein wenig an Kraft ermangelte, war in Anbetracht des Orchestersturmes, den der Dirigent durchs Haus brausen ließ, fast verständlich. Womit über die Besonderheiten des Dirigates von Pier Giorgio Morandi schon alles gesagt wäre.

Alexander Kaimbacher als Spoletta und Dan Paul Dumitrescu als luxuriös besetzter Schließer ergänzten die Nebenrollen mit Qualität. Als Hirte übte ein Kind der Opernschule.

Das Publikum war mit dieser soliden, aber für meinen Geschmack keinesfalls überragenden „Tosca“-Vorstellung, offenbar zufrieden und klatschte zehn Minuten lang.






 
 
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