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Dr. Kevin Clarke
Puccini: Tosca, Berlin, 16. Mai 2009
Berliner 'Tosca'-Karussell
Berlin > Deutsche Oper - 16.05.2009
327. Aufführung von Boleslaw Barlogs 'Tosca' > Westberliner Debüt des Startenors
Nun hat er also auch sein Debüt in der Westberliner Hälfte der hauptstädtischen Opernwelt gegeben: Am Samstagabend stand der neue tenorale Shootingstar aus München, Jonas Kaufmann, auf der Bühne des Charlottenburger Hauses und gab den Cavaradossi in Puccinis 'Tosca’ – als ‚Latin Lover deutscher Zunge’, wie’s in der Reklame um ihn so schön heißt. Die Vorstellung war natürlich, dezent erhöhte Eintrittspreise und Finanzkrise hin oder her, restlos ausverkauft. Man merkte draußen auf der Straße, wo sich Menschenmengen in schwarzen Achtzigerjahreabendroben zu Gruppen verdichteten und erregt zum Eingang drängten, dass das einstige Stammpublikum des Hauses – zwischenzeitlich verschreckt von den neueren Entwicklungen an der Bismarckstraße – noch immer zu mobilisieren und für einen solchen Auftritt vollständig zurückzukehren bereit ist. Denn den charismatischen, intelligenten und dazu noch extrem photogenen ‚Star of the Moment’ mit Stoppelbart und dunklem Lockenkopf live erleben, das wollen alle, noch dazu in einer klassischen Inszenierung von 1969, wo garantiert keine unangenehmen Regietheater-Mätzchen zu befürchten sind und wo 'Tosca’ tatsächlich aussieht wie man sich 'Tosca’ vorstellt. Wo Mario Cavaradossi alias Jonas Kaufmann als beige gewandeter Maler mit eng sitzenden Hosen und kniehohen Stiefeln überaus attraktiv durch die Handlung schreiten darf. Und seine große Arie im ersten Akt ('Dammi i colori! – Recondita armonia’) tatsächlich mit einer Farbpalette in der Hand singt, auf einem Holzgestell vorm Bild einer blonden Madonna, und bei der zweiten Arie vor einem atemberaubenden Breitwandpanorama der Dächer Roms kniet, inklusive der Kuppel des Petersdoms. So schön und einfach und beglückend kann Oper sein...

Und gesungen hat der Tenor mit dem ‚körnig kaffeebraunen Timbre’, wie ein Kritiker kürzlich schwärmerisch bemerkte, in diesem Retro-Ambiente sehr achtbar, sehr differenziert und sehr zurückgenommen. Weite Strecken der Partie gestaltete er im ‚mezza voce’, nur die kassenfüllenden Spitzentöne schleuderte er mit (gedämpfter) Wucht in den Raum – wobei speziell das 'Vittoria’ im 2. Akt virile Strahlkraft hatte. Dabei fiel auf, dass Kaufmann seine ‚acuti’ – im Gegensatz zu den meisten italienischen Interpreten der Partie – immer gedeckt hielt, abgerundet und erdig, was ihnen den typisch südländischen Klingel- bzw. Pengeffekt nahm, oder sagen wir, den berühmten ‚squillo’, den Kaufmann scheinbar nicht erzeugen kann oder will. Dadurch fehlte der Interpretation, für meinen Geschmack, das Erregende, das Exaltierte, auch das Ergreifende (speziell bei 'E lucevan le stelle’). Alles war ordentlich korrekt, aber selten mehr als das.

‚Tosca, mi fai dimenticare Iddio!’

Auch das erotische Kribbeln, das bei manchen Interpreten in den sinnlichen Duetten zwischen Cavaradossi und Floria Tosca entsteht, wollte sich am Samstagabend nicht einstellen. Wobei das vermutlich weniger an Kaufmann lag, der durchaus Versuche unternahm, die glühenden Liebeserklärungen sinnlich-weich zu gestalten, aber bei seiner Partnerin keine Resonanz fand. Denn: Irgendwie stimmte die Chemie zwischen ihm und Nadja Michael als Titelheldin nicht. Es ist schwer zu sagen, was da genau nicht stimmte – denn oberflächlich betrachtet hätte man meinen können, diese beiden attraktiven, athletischen und spielfreudigen jungen Sänger müssten ideal harmonieren. Das war leider nicht der Fall. Speziell weil mich Nadja Michael – so sehr ich sie in anderen Partien auch schätze – als Tosca überhaupt nicht überzeugt. Das ist verblüffend, schließlich hat sie die Rolle u.a. bei den Bregenzer Festspielen 2007 gesungen, wovon es auch eine DVD gibt (die Inszenierung mit dem Riesenauge, aus dem James Bond-Film bekannt). Schon damals bemängelten Kritiker ihren grotesken S-Fehler, der bei einer Partie ein echtes Problem ist, bei der die zentrale Arie 'Vi-ss-i d’arte, vi-ss-i d’amore’ heißt und einer der berühmtesten Sätze lautet 'Quanto? Il pre-zz-o’ (und wo der Gegenspieler der Diva ‚S-carpia’ heißt – mir ist vorher noch nie aufgefallen, wie viele S-Wörter im Libretto vorkommen). Aber auch abgesehen von solchen sprachlichen Nuancen, klang die Stimme der Michael in der Puccini-Paraderolle extrem unelegant, unglamourös und unangenehm. Alles, was Tosca nicht (!) sein sollte. Schließlich ist sie, im Stück, eine gefeierte Operndiva. Dass nach der zerstückelt und atemlos gesungenen Arie im 2. Akt niemand gebuht hat, lag wohl an der allgemeinen guten Laune des Publikums. Vor einem Jahr wurde Michael, am gleichen Haus in der gleichen Inszenierung, als Tosca sehr wohl ausgebuht. Vielleicht hat die Erinnerung daran Michael jetzt so nervös gemacht, dass sie so unkonzentriert agierte? Selbst das Duell mit Scarpia – in dem die Sopranistin im 2. Akt unkoordiniert im Raum herumrannte – wirkte nicht. Dabei stand ihr mit dem 67-jährigen Ruggero Raimondi ein erfahrener Partner zur Seite, auch wenn der etwas wacklig auf den Beinen wirkte und trotz etlicher fulminanter Einzeltöne die dämonische Kraft für diese Partie insgesamt kaum mehr aufbringt (das fiel bereits im Finale I auf, wo sein ‚Tosca, mi fai dimenticare Iddio!’ nur mehr wie ein Schatten vergangener Glorie klang.)

Mut zu Pucciniskem Außer-Sich-Sein

Ich muss gestehen, dass ich im Laufe der Jahre viele 'Tosca’-Aufführungen gesehen habe, die auf mich aufregender wirkten, besonders was die Kombination Tosca/Scarpia betrifft. Und als vor gut einem Jahrzehnt der junge José Cura auf der internationalen Opernszene auftauchte und den Cavaradossi gab (auf DVD festgehalten), sah er nicht nur um einiges besser aus als Kaufmann, er hatte auch in der Stimme genau das Ekstatische, das dem ausgeglichenen und teilweise zu ‚braven’ Kaufmann (noch) fehlt. Dennoch war der Jubel gigantisch, für alle drei Solisten, als sie am Ende vor den Vorhang traten. Nur Dirigent Pier Giorgio Morandi bekam vereinzelte Buhs ab, wieso, weiß ich nicht. Denn ich fand, dass er den Abend voller Rubati und Fermaten wunderbar einfühlsam geleitet und die Sänger niemals zugedeckt hat. Angesichts der Piano-Kultur Kaufmanns eine nicht zu unterschätzende Leistung.

Da die Vorstellung ohne nennenswerte Proben über die Bühne ging, besteht Hoffnung, dass die nächste Aufführung mit Kaufmann am 21. Mai besser und freier gelingt, vielleicht mit mehr Mut zu Pucciniskem Außer-Sich-Sein. Danach dreht sich das Berliner 'Tosca’- Karussell weiter und man darf sich Ende Juni auf Angela Gheorghiu freuen, an der Seite von Neil Shicoff und Franz Grundheber. Vorausgesetzt, sie sagt nicht wieder ab.






 
 
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