magazin.klassik.com, 26.1.2009
Prof. Kurt Witterstätter
Strauss: Rosenkavalier, Baden-Baden, 25. Januar 2009
Tiefsinn und Tölpelei
Wernickes 'Rosenkavalier' im Baden-Badener Remake
Ein 'Rosenkavalier' war in Baden-Badens Festspielhaus schon lange einmal fällig. Schließlich weihte Karajan sein Großes Salzburger Festspielhaus 1960 gleich mit Richard Strauss’ figurenreicher Musikkomödie ein. Herbert Wernickes luxuriös aufwändige Salzburger Inszenierung von Strauss’ Wohlklangoper von 1995 wäre sogar beim Start in Baden-Baden vor elf Jahren bereits verfügbar gewesen. Dennoch dauerte es nun gut 13 Jahre (und sogar über Wernickes Tod vor sieben Jahren hinaus), bis sie im Remake an die Oos fand.

Hat Wernickes Salzburger, damals auch in Paris gezeigter 'Rosenkavalier' von 1995 eine so lange Laufzeit verdient? Zweifellos entspricht er mit seinem großzügigen, luxuriösen Zuschnitt der neuen, jenseits skandalträchtiger Verfremdungen wieder auf den guten Geschmack setzenden Opernästhetik, die Andreas Mölich-Zebhauser für Baden-Baden anstrebt.

Die erotischen Wirrnisse junger und etwas älterer Akteure aus dem kaiserlichen Wien Maria Theresias in die Kaiserzeit der vorigen Jahrhundertwende vorzurücken, die Wernickes in Baden-Baden (von Michael Veits nachgebaute) Eisen-Glasdecke suggeriert, ist sicher kein Missgriff. Schließlich existierten um das Jahr 1900 die Standesunterschiede zwischen Hoch-, Dienstadel und Gemeinen noch immer. Und auch die beweglichen, vertikalen Spiegel- und Schiebewände voller Prunk, Stuck und dunkelbraunem Furnier sind (als Telari-Bühne mit Drehprospekten) ein zeitloses, theatralisches Stilmittel. Für die Ränke des Intrigantenpaars eigneten sie sich denkbar gut.

Was an diesem begeistert aufgenommenem und dreimal praktisch ausverkauftem Baden-Badener 'Rosenkavalier' noch wichtiger ist: Er bringt in Alejandro Stadlers aktualisierender Regie Menschen von Fleisch und Blut auf die Bühne: Eine jugendliche Marschallin als moderne Frau in den besten Jahren, weniger die vornehme Aristokratin, wie sie einst die unvergessene Elisabeth Schwarzkopf verkörperte. Renée Fleming singt sie sehr lyrisch, unterschlägt fast den Konversationston, gestaltet in exquisiter Tonbildung, mit sensitiver Ruhe für den philosophischen Tiefsinn der Rolle; wundervoll kombiniert die Amerikanerin entsagungsvolle Reife mit stets noch durchhörbarer Leidenschaft. Allein ihretwegen lohnt der Besuch dieses Baden-Badener 'Rosenkavalier'.

Und dann ist da natürlich der Ochs des profund-vollsaftigen Franz Hawlata (der in der Premiere nur anfänglich in der Höhe etwas belegt schwächelte): Wernicke-Stadler lassen dem Janker-Junker mit Gamsbart-Hut bei seinen Tölpeleien freien Lauf: Er setzt sich auf den Rock des als Mariandl arg changierenden Oktavian von Sophie Koch (der im Wirtshaus auf offener Szene in sein Folklore-Kleid schlüpft), nimmt einen Lakaien als Kleiderständer und lässt am Ende sogar den Latz seiner Krachledernen herunter; da wird gerade auch mit der Balgerei im Bett der Marschallin, den Sex-Ritten im Gasthaus mit Rotwein getränkten Servietten und dem umher torkelnden Diener Leopold des Klamauks vielleicht doch zuviel des Guten getan.

Wie Wernicke auch mit seinen vervielfachten Randfiguren nichts wesentlich Deutendes schuf, sondern lediglich große Festspielhausbühnen füllte. Da marschierten ganze Koch-Brigaden, Rettungssanitäter-Riegen und Polizeiwachen auf, die unehelichen Kinder des Ochs gar im doppelten Dutzend. Der Skandal im Stadtpalais brach in voller Breitseite los. Mehr an deutender Substanz steckte da in der Aufstufung des kleinen Mohammed zum all gegenwärtigen Pierrot (Uli Kirsch): Der war bei der Überreichung der silbernen Rose auf der eingefahrenen großen Treppe (die Sophies Tüll-Petticoat so richtig zur Geltung brachte) ebenso zur Stelle wie am Ende, wo er dem sich auf dem Boden vereinenden Paar Sophie-Oktavian die silberne gegen eine rote Rose tauschte.

Bleibt natürlich neben Diana Damraus leuchtend kraftvoller, konturklarer Sophie und Sophie Kochs edel und glanzvoll timbriertem Oktavian noch Christian Thielemanns sängerfreundliche Leitung mit den dunkel wuchtig grundierenden Münchner Philharmonikern zu würdigen. Thielemann brachte das Kunststück fertig, phonreich leuchtend die orchestralen Höhepunkte zu setzen, um dann zur Sängerbegleitung in der Dynamik weich und geschmeidig zurück zu gehen. Genauso variierten seine Tempi von liebevoller Vertiefung in die Lyrik bis zu wirbelig aufgedrehten Tumultszenen, die immer locker funkelten statt nur dumpf zu ballern. Selbst in Randbesetzungen wie Jonas Kaufmanns strahlkräftig fülligem Sänger sandte dieser Baden-Badener 'Rosenkavalier' noch Luxus aus.






 
 
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