Das Interesse an diesem Abend galt wohl nicht der „Manon“ von Massenet,
sondern dem Des Grieux in Gestalt von Jonas Kaufmann. Schließlich hat dieser
deutsche Sänger in letzter Zeit an internationalem Ruhm (und medialer
Beachtung – „der Opern-Rockstar“) explosionsartig zugelegt. Was in Wien zwar
für ausverkaufte „Toscas“ sorgt, die Kaufmann noch singen wird, nicht
hingegen für volle „Manons“. Was in diesem Fall kein Schaden war, denn der
Star befand sich nicht in bester Verfassung, worüber man sich angesichts der
Wetterkapriolen allerdings nicht wundern muss.
Liest man die Kritiken über seinen ersten Wiener Des Grieux am Sonntag, dann
muss Kaufmann bei dieser Gelegenheit stimmlich entschieden besser gewesen
sein. Diesmal hörte man Piani ohne Substanz, ein Mezzavoce, das kaum über
den Orchestergraben kam (Miguel Gomez-Martinez ließ die Musik allerdings
unfair laut toben), und so blieben am Ende gerade nur ein paar Spitzentöne,
die zeigen, dass er es kann. Da muss schon mehr dabei sein, wenn man
bedenkt, was Kaufmann zwischen seinem heimatlichen München (wo er im Sommer
seinen ersten Lohengrin versucht, den er 2010 auch in Bayreuth geben wird)
oder der Met (wo er demnächst José, Faust und Siegmund singen wird) alles
anvertraut bekommt. Wir werden es bei der „Tosca“ noch einmal probieren.
Eines steht jedenfalls fest: Kaufmanns sympathische Bühnenpräsenz ist
bedeutend, als Darsteller wirft er sich mit schrankenlosem Einsatz in die
Rolle, und sein Aussehen schadet in Zeiten wie diesen natürlich auch nichts
– schlank und rank, weit jugendlicher wirkend als die 40, die er heuer wird,
mit dem interessanten Gesicht unter dem Wuschelkopf, das so gar nicht
deutsch wirkt, sondern eher wie ein Villazon-Bruder (was man ihm schon oft
gesagt hat)***: Das hilft. Aber wenn es nicht mehr als das wäre, nützte es
auch nichts.
Dass Norah Amsellem nicht unsere Wunsch-Manon ist, haben wir schon früher
festgestellt. Gewiss, sie „kann“ die Rolle, spielt sie eigentlich sehr
überzeugend, aber die Stimme ist nicht nur schmal und höhenscharf, sondern
auch völlig uninteressant. Wenn diese Manon im dritten Bild ihre „große
Szene“ als prickelnder Star hat, ist man fassungslos über derartige
Glanzlosigkeit in Gesang und Ausstrahlung.
Markus Eiche als Lescaut nützt die Tatsache, dass er den ersten großen
Auftritt des Abends hat, um entsprechend auf sich und seinen
Qualitätsbariton aufmerksam zu machen. Clemens Unterreiner als Brétigny ist
unübersehbar – warum muss er immer so schamlos übertreiben? Michael Roider
als Morfontaine gibt einen Schurken mit beschädigter Stimme. Dan Paul
Dumitrescu als sanfter Papa Des Grieux überzeugt ebenso wie die drei Damen,
die eigentlich Dämchen sind: Elisabeta Marin (Poussette), Caroline Wenborne
(Javotte) und Juliette Mars (Rosette).
Sitzt man im Parkett, kann man in der mühselig-affektierten Inszenierung von
Andrei Serban, deren Bühnenbild (Peter Pabst) nur ablenkt und den Sängern
das Leben erschwert, ein konkretes Datum erkennen: Dass hier ein Plakat für
den Film „Die barfüßige Gräfin“ mit Ava Gardner hängt, zeigt an, dass der
Regisseur das Geschehen etwa ins Jahr 1954/55 verlegt. Nicht, dass das
wichtig wäre… Wichtiger für den Abend war, dass Dirigent Miguel
Gomez-Martinez, wie schon erwähnt, immer wieder zu grobschlächtig-laut war,
es klang ja schon der Anfang mehr nach Operette als nach Oper. So war es
alles in allem ein wackliger Abend.
Renate Wagner
*** Wer hat das schon oft gesagt? Gewiss nicht die Presse, da es dann auf
dieser Webseite zu finden wäre. Frau Wagners sängerische Vorlieben in Ehren, aber die
beiden haben ja wohl gar keine Ähnlichkeit.
Ein Beitrag aus dem Merker Forum zu Frau Wagners Vorliebe in der Mehrheit
zu schreiben, nicht von mir versteht sich, aber trotzdem ganz unterhaltsam.
2654 rigelotto 01.05.2009 15:04
Manon-Kritik: Wer ist "wir"?
Es liegt mir absolut ferne, mich in die immer wieder aufflammende Pro- und
Kontra-Debatte um Frau Wagner einzumischen, auch kenne ich die Dame gar
nicht. Was mir mit der Zeit allerdings immer unangenehmer auffällt, ist das
inflationäre „wir“ in ihren Berichten. Wie zum Beispiel aktuell über
„Manon“.
Ich frage mich nun: Ist das ein apostolisches oder majestätisches „wir“,
sind also hochwohlgeboren Frau Wagner Päpstin einer geheimen Sekte oder gar
Honorarkaiserin einer Südseeinsel? Oder will Frau Wagner damit einfach nur
das egomane „ich“, das in einer Kritik im Gegensatz zum Erlebnisaufsatz
bekanntlich wenig geschätzt wird, gnädig umschiffen? Oder ist es womöglich
gar so, daß sie sich in der Pause erst heimlich umhören muß, um sich anhand
der übrigen Publikumsmeinungen ihr Bild zu machen, was immerhin einer
geheimen demoskopischen Umfrage gleichkäme? Wodurch das „wir“ ja dann sogar
eine ernsthafte Berechtigung erlangte...
Musikbeispiele:
Also „wir“ ( äh... ich und der, der es aufgenommen hat) behaupten, dass man
sehr wohl jede Silbe hören konnte und das trotz Gomez-Martinez’ Krach, trotz
häufiger Huster im Zuschauerraum (muss wohl an den erwähnten Wetterkapriolen
gelegen haben) und trotz des Knarrens des Gestühls im Parkett.
1. Akt: Nous vivrons à Paris, Amsellem/Kaufmann, Wien, 30.4.2009
3. Akt: Je suis seul!....Ah! fuyez, douce image, Wien, 30.4.2009
3. Akt: Toi!..Vous!, Amsellem/Kaufmann, Wien, 30.4.2009 |