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Christian Gohlke
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Wagners 'Lohengrin' an der Bayerischen Staatsoper
 

"Lohengrin ist die Lieblingsoper aller gefühlvollen Damen", behauptete einst, 1894, Eduard Hanslick. Das ist boshaft, aber nicht ganz falsch. Mit der Tiefe und Mehrdeutigkeit der späteren Figuren, sagen wir im 'Tristan' oder in den 'Meistersingern', können es Elsa, Lohengrin, Telramund und Ortrud nicht so recht aufnehmen. So lebt diese Oper vielleicht mehr als alle anderen Werke Wagners vom Märchenhaft-Romantischen, in das die mittelalterliche Geschichte einer gescheiterten Mahrtenehe eingekleidet ist. Dabei sollte man aber nicht vergessen, daß auch der junge Thomas Mann gerade diese Oper sehr liebte. Gewiss ist das kein Zufall. Schließlich geht, die Sehnsucht nach den "Wonnen der Gewöhnlichkeit" im Herzen, Lohengrin ein wenig wie Tonio Kröger gewissermaßen als Fürst in zivil unter die Menge, wird von der aber doch gleich als etwas Besonderes, nicht zu ihr Gehöriges erkannt. Anders gesagt: 'Lohengrin' als Tragödie des Genies.

Elsa und Lohengrin auf der Baustelle

Gefühlvolle Damen werden nun am neuen Münchner 'Lohengrin' wenig Freude haben: Vom Zaubervollen und Übersinnlichen, Wunderbaren und Dunklen bleibt in Richard Jones' Inszenierung nämlich rein gar nichts übrig. Das spricht zunächst einmal nicht gegen seine Arbeit. Aber auch nicht für sie. Es ist noch kein Verdienst, ein Stück entzaubert und dekonstruiert zu haben. Wer dem 'Lohengrin' all das nimmt, wofür gefühlvolle Damen ihn lieben, der sollte schon etwas Überzeugendes an diese Stelle setzen können. Sonst könnte es öde werden. Was hat Richard Jones also zu Wagners Oper zu sagen? Was ist sein Konzept?

Der Beginn vermag durchaus Interesse zu erwecken: Von der Klage, die Graf Telramund wider sie erhebt, bleibt Elsa völlig unberührt. Diese Frau hat eine Vision, an die sie unerschütterlich fest glaubt. Wie Anja Harteros die Kindlichkeit Elsas gestaltet, die sich einerseits in einer so ruhigen Sicherheit, in einem so festen Glauben an ihren "Retter" äußert und die andererseits auch wiederum dazu führt, dass sie sich so unbedingt und blind ihrem "Heil", ihrem "Schirm" und "Erlöser" hingibt, das ist durchaus einleuchtend und zeugt vor allem von der darstellerischen Kunst dieser großartigen Sängerin. Zudem passt ihre nicht zu schwere, aber sehr kräftige und klare Stimme exzellent zu dieser Figur. Dieser Einstieg ist zwar nicht in jedem Punkt einleuchtend, aber durchaus vielversprechend. Daraus könnte sich etwas entwickeln.

Leider ist damit gleich zu Beginn das Überzeugendste, was dieser Abend zu bieten hat, auch schon vorbei, - wohingegen die Oper noch vier Stunden lang dauert. Richard Jones zeigt Elsa und Lohengrin nun als Handwerker, die auf einer Baustelle alle Hände voll zu tun haben. Dabei werden sie von ein paar handwerklich begabten Statisten unterstützt, die fleißig Zement anrühren, Bretter hobeln und Ziegel schleppen, indes der Chor untätig herumsteht. Gekonnte Personenführung sieht anders aus. Was aber wird dort mühevoll gebaut? Ein Schloß? Eine neue Burg für Brabant? Das bleibt lange unklar. Da Elsa von Beginn an unbeirrt an diesem Bau arbeitet, für den schon während des Vorspiels auf offener Bühne am Reißbrett Pläne entworfen worden sind, müßte es sich, so meint man, doch um etwas Bedeutsames, Gewichtiges, Symbolisches handeln. Von Akt zu Akt wächst der Bau auf der Bühne in die Höhe - bis am Ende des zweiten Aufzugs endlich Richtfest gefeiert werden kann. Entstanden ist ein hübsches Einfamilienhaus samt Balkon und Terrasse. Elsa und Lohengrin möchten darin künftig ihr kleines, bürgerliches, kleinbürgerliches Leben führen. Eine Vision, die im Bürgerlichen endet, vielleicht dann auch am Bürgerlichen scheitert, - so ließe sich das dürftige Konzept der Inszenierung vielleicht umreißen. Sie scheitert schon daran, daß die Figur des Lohengrin allzu gut in diese Welt paßt. Kaum dass er Telramund im Kampf besiegt hat, greift er auch schon zur Maurerkelle. Was soll in dieser profanen Welt denn aber zum Beispiel das Frageverbot bedeuten? Das müsste doch gedeutet werden, wenn es nicht mehr durch seine mythische Abkunft als Märchenmotiv legitimiert ist.

Was außergewöhnlich sein soll an diesem Zimmermann-Lohengrin, ist nicht ersichtlich. Schon Lohengrins Epiphanie - aber man mag das Wort hier gar nicht gebrauchen - ist bar jeden Zaubers. Unsinnlicher kann man diese Szene kaum bieten: In einer Art Teichoskopie berichten Chor und Solisten von seiner Ankuft, indem sie gebannt in den Zuschauerraum starren, wo sich aber genauso wenig ereignet wie auf der Bühne. Kein Lichtspiel, kein Glanz, kein Nachen, nichts. Endlich kommt, den Schwan auf dem Arm, Lohengrin im blauen T-Shirt von rechts auf die Bühne. Lustig ist das leider nicht, sondern nur läppisch. Immerhin trägt er silbere Turnschuhe, und seine grauen Hosen weisen zwei silbere Streifen auf; mehr an ritterlichem Glanz wird ihm nicht zugestanden. Dieser Figur fehlt jede Fallhöhe. Den Zimmermann glaubt man Jonas Kaufmann sofort, den Gralsritter keinen Augenblick. Kaufmann ist ein guter, solider Lohengrin, aber den enormen Erwartungen, die eine rege Musikindustrie geschäftstüchtig zu wecken weiß, kann er kaum gerecht werden - weder darstellerisch, noch stimmlich. Im Spiel kommt er über ein paar eher nichtssagende Gesten kaum hinaus und schüttelt nur immer wieder mal sanft, mal heftig den Kopf, um Elsas Frage abzuwehren. Die Gralserzählung gelingt ihm hingegen eindringlich: Es sind die leisen, zarten Töne, die für ihn einnehmen, - und dann natürlich die dramatischen Spitzen am Ende, über die er souverän verfügt. Gerade diese dramatischen Höhen meistert er großartig! Hat er hingegen etwas in mittlerer Tonlage zu singen, klingt seine Stimme oft merkwürdig angestrengt, unschön gaumig und belegt. Das überrascht bei seiner eher baritonal timbrierten Stimme.

Der Gral, die alten Götter und die Baustelle

Was alle diese Märchen- und Zaubermotive (Gral, Frageverbot, heidnische Götter) in der so entsetzlich banalen, kleinbürgerlichen Welt bedeuten sollen, darauf bleibt Jones die Antwort schuldig. So ist völlig unklar, was oder wer denn mit den alten Göttern gemeint sein könnte, die Ortrud verschiedentlich anruft. Das ganze düstre Pathos dieses Handlungsstranges nimmt sich albern aus vor dieser Kulisse. Daß Ortrud ein "fürchterliches Weib" ist - darüber sind sich sogar Lohengrin und Telramund einig! -, kommt in keiner Szene auch nur andeutungsweise zur Geltung. In ihrem mausgrauen Kostüm und mit ihrer blonen Perrücke ist Michaela Schuster wie eine beliebige Büroangestellte gekleidet. Sicher, auch Geschäftsfrauen können fürchterliche Weiber sein. Was aber diese Bürokauffrau mit Wotan und Erda zu schaffen haben soll und worüber sie sich eigentlich dauernd so hysterisch aufregt, das wird nirgends plausibel gemacht. Das Düstere, Abgründige und Verletzte bleibt völlig unbegründet. Leider verfügt Michaela Schuster auch nicht ganz über die stimmlichen Mittel, um diese Figur in ihrer tückischen Wandlungsfähigkeit zu gestalten. Egal, ob sie mit Telramund streitet, ob sie sich bei Elsa heuchlerisch einschleicht oder voll Ingrimm der Rache Werk beschwört: Bei Michaela Schuster klingt das oft ähnlich. Ihr fehlt der differenzierte Ausdruck. Blässlich bleibt auch der König Heinrich des Christof Fischesser, der mit den Höhen seiner Partie gelegentlich zu kämpfen hat und manchmal arg forcieren muss, um das freilich extrem laute Orchester zu übertönen. Stimmgewaltiger ist sein Heerrufer Evgeny Nikitin. Und Wolfgang Koch, der in München schon als Bussonis 'Doktor Faust' überzeugte, ist ein erstklassiger Telramund, der nicht zuletzt mit seiner sprechenden, den Text ausleuchtenden, oft fast rezitativischen Deklamation begeistert.

Aber obwohl das musikalische Niveau durchweg so beachtlich ist, berührt diese Aufführung überhaupt nicht, weil Richard Jones kaum ein Bild findet, das unmittelbar suggestive Kraft entfaltet. Das liegt auch an der Ausstattung von Ultz, in dem sich kein stimmungsvoller Moment und keine Intimität herstellen kann (am ehesten noch in der Szene zwischen Elsa und Lohengrin im dritten Aufzug). Alle Moden und Marotten, die man während der letzten Jahre auf Opernbühnen ertragen mußte, sind hier versammelt: Da gibt es die Jogginghose, den dunklen Anzug und das graue Business-Kostüm genauso wie ein paar Nazi-Anklänge und den Mief der 50er Jahre. Das wirkt so abgestanden wie der Einfall, die Ansagen des Heerrufers und die Trauung von Elsa und Lohengrin - natürlich nicht im Münster, sondern direkt auf der Baustelle vollzogen - per Kamera festzuhalten und live auf zwei runden Leinwänden zu zeigen. Wenn es gerade nichts zu senden gibt, weist mal ein dort abgebildeter Hahn darauf hin, daß es nun tagt, mal eine Eule, daß es jetzt Nacht sei. Informationen, auf die der unkundige Opernbesucher im öden Einerlei dieser Kulisse tatsächlich angewiesen ist.

Daß man so wenig angerührt wird von dieser Aufführung, hat ein wenig aber auch mit Kent Naganos Dirigat zu tun. Technisch ist das Bayerische Staatsorchester wie auch der Chor brillant. Es ist schon beeindruckend, mit welcher Präzision und Wucht hier musiziert wurde. Aber der Herr im Zuschauerraum hatte mit seinem Zwischenruf vor Beginn des dritten Aufzugs nicht ganz unrecht: "Viel zu laut!" In der Tat: Nur selten erlebt man so laute Opernaufführungen! Ein wenig Zurückhaltung wäre wünschenswert - und ein wenig mehr an dunklem Zauber, an Schmelz und Innigkeit wohl auch. Aber das ist natürlich Geschmackssache. Wie Nagano den 'Lohengrin' interpretiert, passt zu dem, was auf der Bühne geschieht, und entspricht der Entromantisierung, die Jones so eifrig wie unbeholfen betreibt.

An Ende gab es viel Applaus und Bravo-Rufe für die Musik - und donnerde Buhs für das Regie-Team. Zu recht. Denn Richard Jones hat dieser Oper alles Naiv-Märchenhafte genommen, ohne die dadurch entstandenen Leerstellen durch eine kohärente Deutung schließen zu können. So entsteht maximal großer Schaden. Und dagegen kann man sich gar nicht laut genug zur Wehr setzen!






 
 
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