Südwest Presse, 7.7.2009
JÜRGEN KANOLD
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Der Traum vom Eigenheim
 
"Lohengrin" bei den Münchner Opernfestspielen

Das Münchner Nationaltheater ist eine Baustelle: Elsa von Brabant träumt von einem Eigenheim, der Schwanenritter muss dafür schuften. Musikalisch aber war die "Lohengrin"-Premiere festspielreif.

Bundespräsident Horst Köhler und Gattin kamen auf dem roten Teppich die Stufen hoch zum Nationaltheater, sie fanden mit Ehrenkarte einen Platz in der Königsloge, hörten sich aber demokratisch gelassen die martialischen Heerrufe des "Lohengrin" an: "Für deutsches Land das deutsche Schwert!/So sei des Reiches Kraft bewährt!" Drunten im Parkett wiederum bezahlten Opernfestspielgänger im Smoking oder im tief dekolletierten Abendkleid bis zu 243 Euro für das Ticket. Aber draußen, auf dem Max-Joseph-Platz, breitete das gut eingezäunte Volk die Decken aus und erlebte die Premiere als Direktübertragung kostenlos.

"Freude unter freiem Himmel": Das an der Residenz aufgezogene Werbeplakat des Sponsors BMW meinte zwar Cabrios und war um ein Mehrfaches größer als die Videoleinwand, aber bitte: "Oper für alle" war angesagt. Schöne Sache. Fast alle im Publikum waren sich am Ende auch im Urteil über die Inszenierung einig. Sie straften Regisseurs Richard Jones und Bühnenbildner Ultz mit Buhs ab.

Was war passiert? "Frag nicht!", stand auf Bannern am Säulenportal des Nationaltheaters. Trotzdem ein Erklärungsversuch. Von "höchster, überirdischer Liebessehnsucht" handelt also der "Lohengrin", denn die reale Welt ist von "Hass und Hader" durchzogen und von einer Gesellschaft bestimmt, die gefangen ist von der "öden Sorge für Gewinn und Besitz" - Wagner war ja 1848, als er diese romantische Oper vollendete, noch Revolutionär. Das alles fokussiert sich in Elsa, die vom machtgeilen Telramund des Mordes an ihrem Bruder Gottfried beschuldigt wird: Wer streitet und kämpft für sie, wer rettet auch gleich noch das Vaterland?

Lohengrin soll es richten, als Heilsbringer, Wundermann. In Jones Inszenierung aber träumt Elsa von einem Eigenheim und Familie, und Lohengrin kommt im hellblauen T-Shirt daher, trägt einen Schwan im Arm wie ein Haustier.

Hellblau? "Im hellsten Lichte des blauen Himmelsäthers" sah Wagner seine Gralsmusik. Kent Nagano und das ausgezeichnete Bayerischen Staatsorchester musizierten auch herrlich weich, farbflirrend. Der Dirigent baute überhaupt Wagners Klanggebäude sorgsam, unpathetisch, aber wirkungsvoll auf (allerdings mit leichter Tendenz zum Lauten).

Elsa skizziert schon während des Vorspiels am Reißbrett ihre Unterkunft fürs Leben, dann schleppt sie im Hosenanzug Steine. Da wächst was, Akt für Akt: ein Haus fürs Kleinbürgerglück. Lohengrin ist nicht nur Gottgesandter, sondern besitzt womöglich auch einen Bausparvertrag, auf jeden Fall handwerkliches Geschick. Er ist fleißig, streicht Wände, in Zimmermannstracht schleppt er Elsa zum Standesamt. Aber zwischendrin muss er einige Schwertergefechte austragen.

Regisseur Jones selber werkelt herum: verkleinert jeden Mythos, errichtet einen imaginären Schutzzaun vor möglichem Heilsgeklingel. Wagner-Parodie gehört auch zum Materialbestand: Im Vorgarten wird der Wahnfried-Spruch "Hier wo mein Wähnen Frieden fand" eingepflanzt. Lohengrin ist ein Anti-Held. Aber wenn Elsa das Frageverbot missachtet, den Zauber der Liebe zerstört, zündet Lohengrin das Haus samt Mobiliar (vor allem auch eine Kinderwiege) an. Und nach des Ritters Abgang gibt sich der großartige Chor den Revolver.

Das alles ist keine große Aussage, aber auch kein spektakulär böser Anschlag auf die Opernvorlage: Im konservativen München wird eben bereits die Höchststrafe eines Buh-Sturms verhängt, wenn der "Lohengrin" nicht im Mittelalterdekor zu sehen ist. Auf Ultz poppig-heimeliger Häuslebauer-Bühne aber wird großartig gesungen: allen voran Anja Harteros als Elsa, dramatische Kraft, eingebunden in jugendlichen Wohllaut. In aller Zerrissenheit, brutal und verzweifelt gibt Wolfgang Koch den Telramund; Michaela Schuster ist als Ortrud die Rivalin mit durchschlagender, aber nie überscharfer Stimme.

Und der neue Superstar Jonas Kaufmann? Ein Lohengrin mit Kraft und italienischem Schmelz, der überraschend die Gralserzählung nicht zur großen Nummer machte, sondern im Piano gestaltete - was dann, antiheldisch, zur Inszenierung passte, die Kaufmann ansonsten nicht gerade ins Licht rückt. Festspielreif, dieses Sängerpersonal. Jubel: drinnen und draußen.






 
 
  www.jkaufmann.info back top