Online Musik Magazin
Von Bernd Stopka / Fotos von Wilfried Hösl
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
Lohengrin wird nicht erlöst
 
Ein fast einhelliger, wütender Orkan von „Buh“-Rufen schlug dem Regieteam beim Schlussapplaus entgegen. Es schien, als ob sich in diesem Moment nur noch wenige Hände rührten und niemand den Mut hatte, dieser scheinbar so einhelligen Ablehnung sein „Bravo“ gegenüberzustellen. Was war geschehen?

Richard Wagners nicht ganz unproblematische, große romantische, aber eben auch politische Oper hatte als Premiere der Münchner Opernfestspiele 2009 sehr hohe Erwartungen geweckt. Als Regisseur war Richard Jones verpflichtet worden, der in den Bühnenbildern und Kostümen von Ultz ungewöhnliche Sichtweisen auf die Geschichte des Schwanenritters anbot. Wer sich nach den zugegebenermaßen zunächst – aber eben auch nur zunächst – verstörenden Bildern des ersten Aktes auf das ganz und gar schlüssige Regiekonzept einließ, erlebte einen außerordentlich spannenden, bereichernden Opernabend.

Das beherrschende Bühnenelement ist ein Ein-Familien-Haus, das von der Bauzeichnung an bis zum Bezug auf der Bühne entsteht. Eine bühnenbreite Brücke, die im Laufe der Handlung demontiert wird, bietet dem Chor eine zusätzliche Spielfläche.

Wir befinden uns am Ende einer politischen Ära, vielleicht nach einem Krieg, bestimmt nach einem Zusammenbruch. Eine Ideologie hat sich der Menschen bemächtigt. Angedeutet wird dies durch curryfarbene Elemente der Kostüme des Volkes und entsprechende Uniformen. Das weckt Assoziationen, drängt diese aber nicht auf. Der Heerrufer des Königs wirkt auf seinem Hochsitz wie ein schmieriger Sportberichterstatter. Während er seine Verkündigungen singt, wird sein Gesicht auf zwei kreisrunde Leinwände am Bühnenhimmel projiziert. Das erheischt Erfurcht und erinnert an „Big brother is watching you“.

Während die Männer vor einem runenreihen geschmückten Zwischenvorhang Krieg und Ehre verhandeln, haben Frauen begonnen, die Wände eines neuen Hauses zu mauern (was bei Elsa allerdings eher wieder ein liebevolles Spielen mit dem Mörtel ausschaut). Auch hier entsteht eine Assoziation, man denkt an Trümmerfrauen und liegt damit sicher nicht ganz verkehrt.

Elsa hat sich in die Arbeit gestürzt, eine resolute, starke Frau, die die Sache in die Hand nimmt und sich nicht unterkriegen lässt. Eine junge Frau mit schwarzen – nicht mit blonden! - Zöpfen (der Regisseur beherrscht auch die Ironie…). Die Erinnerung an den verschwundenen (mit Handzetteln gesuchten) Gottfried tut ihr weh, aber sie vertraut auf ihren Retter. Soviel Selbstbewusstsein ist unheimlich, und schon soll sie auf einem mit Benzin übergossenen Scheiterhaufen verbrannt werden.

Lohengrin selbst erscheint in blauem T-Shirt mit grauer Hose. Lediglich die silbernen Streifen und Schuhe lassen auf etwas Ungewöhnliches an ihm schließen. Er trägt einen Schwan (sic!) über die Bühne nachdem er sein „Nun sei bedankt“ aus dem Off gesungen hat. Im fulminanten Zweikampf entwaffnet Lohengrin Telramund mit einem Blitz und kann den erneuten Angriff Telramunds mit Lohengrins abgelegtem Schwert abwehren. Mit fairen Mitteln kämpft Telramund nicht. Wie auch, denn er selbst ist seiner Gattin hörig und tut, was er eigentlich nicht tun will. Diese wiederum arbeitet mit ganz einfachen, aber effektiven Mitteln: Ortrud ist ein blonder Vamp im Hosenanzug.
Mit neuem Elan und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft wird das Haus weitergebaut - angeführt von Lohengrin, der mit der Kelle so gut umgehen kann wie mit dem Schwert. Ein Herrscher, der mit anpackt – und der auch im zweiten Akt nicht müßig ist: In Zimmermannskluft schleift und lackiert er in seiner Werkstatt erst einen Fensterrahmen, dann eine Babywiege. Die Jesus-Assoziation drängt sich auf. Während Ortrud erst Telramund und dann Elsa betört, schläft der Antiheld auf einem Feldbett den Schlaf des Gerechten.

Pünktlich zur Hochzeit ist das Haus dann fertig. Ortrud benimmt sich schlecht, Telramund vom Kiefernholzbalkon aus noch schlechter. Eine Zwischenlösung zwischen Kirche und Standesamt stellt ein einfacher Tisch mit Holzkreuz dar. Das Unterschreiben des Ehevertrages wird per Kamera live übertragen und auf die runden Leinwände projiziert. Elsa schreibt ihren Namen, Lohengrin macht nur einen Haken – ob das verwaltungstechnische Bestandskraft hat?

Trautes Heim, Glück allein? Wohl kaum. „Hier wo mein Wähnen Frieden fand…“ Die Wahnfried-Inschrift in Blumen gesteckt, verweist auf die Dramen unter der Oberfläche, verweist auf Wagner selbst und auf Wotan im „Rheingold“. Das Haus ist fertig. Die Hochzeitsgäste begleiten das Paar und bringen die restlichen Möbel. Vom Kinderwagen bis zum Kaninchenstall ist alles da und über das Bett wird die Bauzeichnung gehängt. Doch als Elsa und Lohengrin allein sind, scheint es, als trauten sie sich in der Hochzeitsnacht nicht, die Socken voreinander auszuziehen. Da war doch noch etwas…
Unter Opernfreunden ist es üblich, viel Verständnis für Elsa zu zeigen („hältst Du auch Elsa die Stange?“) und Lohengrins Frageverbot als unmöglich zu enttarnen. Nachdem Elsa die Frage dann nicht mehr zurückhalten konnte und Lohengrin Telramunds Angriff mit der bloßen, flachen Hand abwehren konnte, wird deutlich, dass nicht nur Elsa Lohengrin brauchte, sondern auch Lohengrin Elsa. Nur so kann er aus „Glanz und Wonnen“ herauskommen und Mensch werden. So ist es Lohengrin, der vor dem sich senkenden schwarzen Vorhang verzweifelnd, gebrochen, entsetzt zurückbleibt. Ein starkes, ein erschreckendes Bild, das für sich genommen völlig ausreichen würde. Dass der Regisseur hier noch eine Parallele zur beinahe erfolgten Hexenverbrennung im ersten Akt zieht, in dem er Lohengrin, das Kinderbett aufs Ehebett stellen, alles mit Benzin übergießen und dann verbrennen lässt, stört die Sensibilität der Szene, zeigt aber auch, dass Lohengrin nicht nur sanftmütig ist.
„Wenn Menschen um ihre Freiheit kämpfen, bekommen sie selten etwas anderes als neue Herren“. Nun tragen alle blaue T-Shirts, so wie Lohengrin. Der König ist tot, es lebe der König. Rannte das Volk zunächst dem einen hinterher, folgt es jetzt dem nächsten. Doch der verlässt sie wieder – und bringt als Ersatz den vermissten Herzog Gottfried und ernennt diesen Knaben zum Herrscher. Einzelne Gesichter des Chores werden auf die Leinwände projiziert – nun ist jeder auf sich gestellt. In der Verzweiflung tun es alle Ortrud nach und stecken sich Pistolen in den Mund.
Das ist eine starke Geschichte in starken Bildern. Die Geschichte des Hausbaus mit allen seinen gesellschaftlichen, politischen und persönlichen Hintergründen bietet gleichzeitig einen Rahmen und eine Assoziationsplattform. Die Gedanken zu gesellschaftlichen und politischen Vakuumsituationen werden ebenso deutlich wie die Frage, wer hier wen braucht, um glücklich zu sein. Eine handwerklich gut gearbeitete Personenregie, die viele ganz starke Momente enthält, eine überzeugende Modernisierung sowie das Beleuchten von Teilaspekten lässt diese Inszenierung zu einer spannenden Produktion werden. Diese Lesart muss nicht jedem gefallen, mag dem einen vielleicht auch zu plakativ erscheinen, dem anderen zu detailverliebt, aber hier offenbart sich ein schlüssiges Konzept, das sich selbst erklärt.

Und mehr noch: Wenn Lohengrin allein vor dem Vorhang verzweifelt, wenn selbst die kitschig-peinliche Textstelle „Elsa, ich liebe Dich“ durch einen innigen Kuss zu einem schönen Moment wird, und wenn das Brautlied vom Wunschkonzert-Image befreit wird, in dem der Chor während des Singens auf- und später wieder abtritt, dann zeigt dies, dass Richard Jones ein außerordentlich musikalischer Regisseur ist, der nie gegen die Musik, sondern immer mit ihr arbeitet. Und alles das ist in Zeiten des Regietheaters sehr viel.
Höchsten Erwartungen sah sich Jonas Kaufmann gegenüber, der an dieser exponierten Stelle sein Rollendebüt als Lohengrin gab. Mit seiner blendenden Erscheinung, seiner großen Bühnenpräsenz und einer außerordentlichen schauspielerischen Begabung scheint er eine Idealbesetzung des Schwanenritters zu sein. Doch stimmlich konnte er die Hoffnung auf einen neuen strahlenden Stern am Tenorhimmel nicht ganz erfüllen. Denn eben die Strahlkraft war es, die man am Premierenabend zu oft vermisste. Die Stimme klang oft recht eng, manchmal sogar etwas knödelnd. Nichtsdestotrotz gelang ihm ein eindrucksvolles Rollenportrait und das Sahnehäubchen bewahrte er sich für den dritten Akt auf: Wo andere mit Stimmkraft prahlen, sang er die Gralserzählung mit halber Stimme und ließ erst bei „Wunderkraft“ seine Stimme blühen. Genauso begann er „Mein Lieber Schwan“, steigerte sich dann zum grandiosen Schluß und zeigte mit „Leb wohl“, wie strahlend seine Spitzentöne klingen können. Das war dann doch noch ein Erlebnis der Sonderklasse!

Das ganz große Ereignis dieses Abends war jedoch ein anderes Rollendebüt: Anja Harteros blieb der Elsa nichts, aber auch gar nichts schuldig. Diese Kombination aus Stimmschönheit, Ausdruckskraft und absoluter Präzision erschien schon fast überirdisch. Ein warmer, substanzreicher Sopran, der auch samtig-dunkle Töne hat und doch so mädchenhaft rein klingen kann – einfach wundervoll.
Die Kombination von Präzision und Ausdruckskraft beherrscht auch Michaela Schuster, wenn man von ein paar unschönen Höhen absieht. Eine Ortrud, die so kultiviert flucht und geifert, erlebt man selten – und gerade die verführerischen, ja erotischen Momente gelingen ihr außerordentlich stark. Dabei beweist sie, dass man auch Furien präzise singen und gleichzeitig eindringlich gestalten kann. Wolfgang Kochs kraftvoller Bariton klingt prächtig, auch wenn der Sänger seinem üppigen Material häufiger freien Lauf lässt, was auf Kosten der Intonation geht. Er erreicht so eine Rollengestaltung, die eher an einen auftrumpfenden Emporkömmling erinnert als an einen edlen Grafen. Christof Fischesser hat nicht den ganz großen Bass, verleiht König Heinrich aber dennoch die angemessene Würde. Evgeny Nikitin singt den Heerrufer angenehm kultiviert, ohne der Gefahr des Brüllens zu erliegen. Mit vier Tölzer Knaben sind die Edelknaben luxuriös besetzt. Prachtvoll und zuverlässig wie immer klingen Chor und Extrachor.

Kent Nagano malt mit dem Bayerischen Staatsorchester herrliche Farben und baut immer wieder ausdrucksvolle Spannungen auf. Mit dem großen Crescendo im Vorspiel verspricht er viel – und hält noch mehr, lässt blühen, was blühen kann und legt den Stimmen immer wieder samtene Teppiche aus. Auch musikalisch ist diese Produktion keinen Moment langweilig.

FAZIT

Eine schlüssige Inszenierung, die in außergewöhnlichen Bildern ganz spannend Teilaspekte beleuchtet, ohne sich in unnötigen Details zu verlieren. Musikalisch ein Genuss, auch wenn die höchsten Ansprüche an anderer Stelle erfüllt wurden als erwartet.






 
 
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