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Nürnberger Zeitung, 07.07.2009 |
Thomas Heinold |
Wagner: Lohengrin, München, 5. Juli 2009
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Jonas Kaufmann wurde im Münchner «Lohengrin« gefeiert
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Richard
Wagners «Lohengrin« ist vielleicht die am schwierigsten zu inszenierende
Oper des Komponisten, überlagern sich in der märchenhaft-fantastischen
Gestalt des Schwanenritters doch religiöse, romantische und nationale Motive
sowie die Sehnsucht nach individueller und gemeinschaftlicher Erlösung. In
Nürnberg verwandelte Michael Simon diese changierende Mischung aus Pathos
und Tiefenpsychologie letztes Jahr in ein ironisch gebrochenes Puppenspiel;
in Berlin sah Stefan Herheim kürzlich den silbern glänzenden Gralsritter als
Symbol für die Verführungskraft der Wagnerschen Opernmusik in einer
trostlosen Realität.
In München wählte der englische Regisseur Richard Jones bei der mit Spannung
erwarteten Premiere während der Opernfestspiele am Sonntag nun den Weg der
Banalisierung: Seine führungslosen und zerstrittenen Brabanter sind aus dem
Mittelalter direkt in der Bundesrepublik angekommen, zumindest tragen sie
seltsam spießige schwarz-rot-goldene Klamotten und geben sich in einem
nüchternen Versammlungsraum an der Rampe mit Runenzeichen und Wappen so
vereinsmeierisch, als würden sich hier die Meistersinger treffen.
Bildtext: Der Wagner-Experte erkennt sogleich den blumigen
Sinnspruch vor Lohengrins Eigenheim. Diese Worte zieren die Villa Wahnfried
in Bayreuth, Richard Wagners Wohnsitz in den letzten Lebensjahren. Der
Meister wäre mit der architektonischen Ausgeburt, wie sie auf der Bühne der
Bayerischen Staatsoper steht, aber sicher nicht zufrieden gewesen. Foto:
Bayerische Staatsoper/Hösl
Im Biedermann lauert der Brandstifter
Ihre Vorstellung vom Glück ist klar skizziert, schon während des Vorspiels
wird es auf einem Reißbrett entworfen: Sie werkeln an des Deutschen höchstem
Gut, dem Eigenheim. Blöd nur, dass die Streitereien die Herren der Schöpfung
so in Beschlag nehmen. Nur die Frauen mauern zaghaft am Fundament der
Traumbaustelle. Dass der Biedermann immer nah am Brandstifter ist, offenbart
sich, als Telramund die fleißig Steine schleppende Elsa des Brudermords
bezichtigt und für die Beschuldigte sogleich ein Scheiterhaufen errichtet
wird.
Doch zum Glück naht Retter Lohengrin: Salopp mit T-Shirt und Trainingshose
bekleidet, packt er als moderner Mann, wie ihn sich Frauen heute wünschen,
sogleich an der Baustelle mit an. Er bezirzt Elsa und besiegt nebenbei den
lästigen Telramund im Schwertschaukampf, danach können die brabantischen
Männer endlich wieder mit voller Kraft am Eigenheim werkeln.
Natürlich meint Jones das beißend ironisch und gesellschaftskritisch: In
unserer auf Konsum fixierten Gesellschaft erträumen sich die Menschen nur
das noch, was man kaufen – oder in diesem Fall bauen kann, lautet seine
These. Ausstatter Ultz wuchtet dazu ein Monstrum von Fertighaus auf die
Bühne. Die Chöre müssen sich an dessen Seiten drängeln oder sich auf einer
eigens zu diesem Zweck errichteten Holzbrücke versammeln.
Doch leider wächst mit dem Haus der Neid. Telramunds Frau Ortrud erschleicht
sich noch im Rohbau die Gunst Elsas und sät in ihr Zweifel an ihrem
Wundermann Lohengrin. Im nagelneuen Eigenheim, einem Albtraum in Kiefer,
scheitert dann das frisch vermählte Paar Elsa – Lohengrin an diesem
Misstrauen. Eben noch haben beide eine Wiege hereingeschleppt und am Tisch
Händchen gehalten, nun stellt Elsa doch die verbotene Frage nach Lohengrins
Namen und Herkunft, und der Traum vom irdischen Glück in den eigenen vier
Wänden ist vorbei. Der verzweifelte Lohengrin lässt den inneren Biedermann
von der Leine, steckt Ehebett und Wiege im Brand und verlässt schließlich
die Bühne so unspektakulär wie er gekommen ist.
Mit diesem reduzierten Menschenbild der Regie kann man sich dann doch nur
schwer anfreunden. Für Fantasien und Utopien jenseits des Reißbretts ist
hier kein Platz, für die fantastischen Momente der Handlung findet Jones
keine befriedigenden Lösungen. Und er sieht Lohengrin tatsächlich lediglich
als jungen Mann, der sich mit Elsa ein Familienglück aufbauen will.
In Jonas Kaufmann hat er dafür wenigstens den idealen Sängerdarsteller
zur Verfügung. Der gebürtige Münchner, der im Zuge seiner Weltkarriere nun
an die Staatsoper zurückkehrt, ist ein zupackendes Naturell, das auch mal am
Fensterrahmen schleift. Trotzdem fällt es Kaufmann schwer sich zu
profilieren: Denn die Regie macht Lohengrin zum unscheinbaren Anti-Helden,
der sogar für 20 Minuten als Schläfer in die Statistenrolle gedrängt wird.
Gesanglich ging Kaufmann seinen Auftritt zunächst vorsichtig an, die leisen
Passagen waren etwas gedämpft, umso schöner entfaltete sich sein Timbre aber
in den Höhen und dramatischen Steigerungen. Die Gralserzählung baute er
meisterlich auf: aus zarter Lyrik zu strahlenden Höhen, klug gegliedert und
sehr wortverständlich. Das hatte große Klasse.
Auch die anderen Sänger gefielen: Anja Harteros hat zwar einen glockenhellen
reinen Sopran, zeigte als Elsa neben inniger Gestaltung aber auch stimmliche
Angriffslust. Das war endlich einmal eine Elsa, die Ortrud ebenbürtig war.
Michaela Schuster überzeugte in dieser Partie als psychisch geschickte
Manipulatorin und mit vokalen Nuancen jenseits hochdramatischer
Schreiattacken. Wolfgang Koch gab als ihr Ehemann Telramund den geknickten
und überforderten Kraftprotz – stimmlich stemmte er die Partie trotz einiger
Grobheiten aber überzeugend.
Christof Fischesser (König Heinrich), Evgeny Nikitin (Heerrufer), vor allem
aber die stimmgewaltigen Chöre vervollständigten die sehr gute gesangliche
Bilanz dieses Abends. Dazu passt auch die hervorragende Leistung Kent
Naganos am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Er gab dem Schmettern der
Fanfaren, dem Pomp der Massenszenen große Wucht, fand in den Gralsmotiven
aber auch zu jenem flirrend schwebenden Zauber, der bei dieser Oper
zumindest musikalisch die unterschiedlichsten Sphären verschmelzen lässt.
Auf der Bühne blieb «Lohengrin« jedoch am Boden. Bei Richard Jones sind die
Träume der Menschen so konkret wie die Waren im Quelle-Katalog. Dafür wurde
er, der den Münchnern mal einen gefeierten «Giulio Cesare« beschert hatte,
gnadenlos von der Bühne gebuht. Alle übrigen Beteiligten wurden bejubelt,
insbesondere der Weltstar aus der eigenen Stadt, Jonas Kaufmann. Und dieser
Erfolg strahlte hinüber auf den Max-Joseph-Platz, auf dem mehr als 10000
Besucher die Premiere unter freiem – und regnerischem – Himmel verfolgt
hatten. |
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