RP online, 07.07.2009
VON WOLFRAM GOERTZ
Wagner: Lohengrin, München 5. Juli 2009
Die Lohengrins bauen ein Haus
 
Deutschlands Opernhimmel ist weiß-blau: Anja Harteros und Jonas Kaufmann sind das neue Sänger-Traumpaar. Beide machten das Wagner-Glück bei der Premiere der Münchner Opernfestspiele fast vollkommen. Leider störte die Inszenierung von Richard Jones merklich.
Bild: Bayerische Staatsoper/W. Hösl - von BR4 Galerie
Das Münchner Opernpublikum pflegt auf missliebige moderne Inszenierungen stets so empört zu reagieren, als fühle es sich persönlich beleidigt. Bei Richard Wagners "Lohengrin" – jetzt im Nationaltheater zur Premiere gediehen – ist diese Teilnahme verständlich, da sich die Bayern auf nebulöse Weise über König Ludwig II. und dessen Neuschwanstein mit dem Werk verbunden wähnen.

Gefühlte 97 Prozent des Publikums möchten lieber eine herkömmliche Regie mit blinkenden Rüstungen, festlichem Prunk, Illusionszauber sehen. Und dem Titelhelden, dem gebürtigen Münchner Tenor Jonas Kaufmann, wünscht es mythischen Aufputz. Aber was trägt der edle Ritter? Freizeitlook in poppigen Farben. Das kommt einem Landesverrat gleich.

Regisseur Richard Jones erzählt die "Lohengrin"-Story – um es vorsichtig zu sagen – sehr unkonventionell. Er bricht sie auf bürgerliche Lebensmodelle herunter. Elsa von Brabant hat Architektur studiert, entwirft Einfamilienhäuser und legt auch gern Hand an (Wagner liebte weiblichen Pragmatismus, wenn er ihm Arbeit vom Hals hielt). Bei solcher Ausgangslage plumpst Jones' Schwanenritter Lohengrin, der sich als tüchtiger, tier- und kinderlieber Zimmermann erweist, wie ein Geschenk ins Nest.

Über zwei Akte entsteht auf der Bühne ein Musterhaus für Familie Lohengrin, immer mehr Steine werden hereingeschafft. Kolonnen von Helfern bohren, schrauben, feilen, schmirgeln, am Ende hievt ein Kran das Fertigdach auf den Rohling, dessen Holzwände rustikal wirken. Aber die Griffigkeit der Materialien verdeckt kaum, dass der Regie alles Geistige fehlt. Münchens "Lohengrin" hat keinen Ort, auch wenn er eine Brücke zu Wagners Bayreuther Wahnfried zu schlagen sucht. Über den Türen hängen rätselhafte Symbole, als Sonderzeichen aus einem Textverarbeitungsprogramms kopiert. Zur Krönung der fixen Harmonie bei der Zukunftsplanung schafft der gut erzogene Lohengrin eine Wiege ins Heim.

Früh fragt sich das Publikum, wieso ein dermaßen patenter, lebenspraktischer und lebensbejahender Typ wie dieser Lohengrin unerkannt bleiben will. Wie überhaupt sollte das unerklärliche Vorleben dieses Luxusbräutigams ausgesehen haben? Immerhin scheint es so verbergenswert, dass Amtsgeschäfte ins Stocken geraten.

In der Ausstattung des Künstlers Ultz ist moderne Kommunikationstechnik ins historische Brabant eingezogen, und als die Trauung im Fernsehen übertragen wird und die Brautleute die Vermählungsurkunde unterzeichnen, sieht man via Volksbildschirm ihren Füller ein korrektes "Elsa von Brabant" schreiben – der Gatte bringt es nur zu einem Kürzel: "L". ( Anmerkung: Es war kein L sondern ein Häkchen)

So geht es hin und fort, und zunehmend beschleicht einen Unwohlsein, weil diese Szenerie keinen erkennbaren, von der "Lohengrin"-Geschichte grundierten Sinn ergibt und vor allem: weil sich keinerlei Theaterzauber auftut. Die Inszenierung korrespondiert so selten mit der Musik, als wolle sie sich die Märchenhaftigkeit, an der Wagner gelegen war, brutal vom Leibe schaffen. Einzig das berühmte Vorspiel zum dritten Akt mit den im Rhythmus der Musik hüpfenden und springenden Ziergärtnern schafft eine Originalität, die den allzu strebsamen Häuslebauer-Alltag vergnügt, erfrischt, ironisiert.

Am ärgsten widerspricht diese Leichtbau-Optik dem tiefsinnigen Glanz, den die Musik in München mühelos erzielt. Kent Nagano bevorzugt mit dem Bayerischen Staatsorchester einen gemessenen, ätherisch behimmelten, von Blechglanz üppig, aber nicht protzig beschienenen Wagner, der meisterlich zwischen Poesie und Prosa, Legende und Realismus vermittelt. Auf diesem weitsichtig bewässerten Humus gedeiht das Rollendebüt von Jonas Kaufmann als Lohengrin geradezu märchenhaft.

Auf der Bühne fühlt sich der Tenor offenbar wohler als im Studio, was den Qualitätsunterschied zwischen CD und Premiere in den Rang des Quantensprungs hebt. Freier, offener, kerniger, differenzierter, heldischer – dabei nie ins Ungeschlachte umschlagend – wird die Partie derzeit von kaum jemandem gesungen. Dass sich Kaufmann weiterhin gern mit Puccini, Mozart oder Verdi beschäftigen will, steht seiner allzu frühen Kasernierung im Heldenfach erfreulich entgegen.


Das musikalische Glück an diesem Abend ist tatsächlich fast vollkommen, weil sich Anja Harteros als geheimnisvoll-spröde Elsa von Brabant schon früh anschickt, nicht allein den Schwanenritter, sondern ganz München zu erobern. Ihr wunderbar gleichmäßig geführter, leuchtsüßer, natürliche Hoheit verbreitender Sopran ist so krisensicher gegürtet, dass bei solcher Stimme die Zweifel der Elsa fast irritierend wirken.

Andererseits wird man einräumen müssen, dass in Michaela Schuster (Ortrud) und in Wolfgang Koch (Telramund) zwei Finsterlinge von dämonischer Wucht mitwirken. Völlig deppert indes der Schluss: Lohengrins Abgang konsterniert alle Beteiligten und treibt sie in einen Massenselbstmord aus Hoffnungslosigkeit. Aus der Musik kann Jones diesen kapitalen Unfug nicht haben.

Hernach zünftige bayerische Verhältnisse – Jubelregen für die Musik, Buhhagel für die Regie. Harteros und Kaufmann sind die ideale deutsche Antwort auf Netrebko und Villazón.






 
 
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