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Die Zeit, 04.12.2008 |
Von Claus Spahn |
Beethoven: Fidelio, Paris, Opéra Garnier, 25. November 2008
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Des Dichters Glanz, elegisch verschattet
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Beethovens "Fidelio" in Paris:
Der Dichter Mosebach hat das Libretto geputzt, der Dirigent Cambreling die
Musik eingetrübt
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+ Leserkommentare |
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Am Ende entscheidet sich doch alles in der
Musik. Wenn Beethoven im Finale seines Fidelio den großen Freiheitsjubel
anstimmen lässt, wenn er den versammelten Chor, das große Orchester und das
triumphale C-Dur aufbietet und seinen idealistischen Höhenflug durch jede
Bühnenbilddecke brechen lässt, dann ist es – von der rauschhaften Höhe
dieser Musik aus betrachtet – gar nicht mehr so wichtig, ob die Ketten des
erlittenen Unrechts in dieser Oper eigentlich dramaturgisch plausibel gelöst
wurden oder die Figuren womöglich ein bisschen zu klein ausgefallen sind für
die Größe des Themas. Beethoven tritt dann unwirsch mit der Geste auf: Es
gibt Wichtigeres als stimmige Operndramaturgie, auf die großen Gedanken
kommt es an. Freiheit, Humanität, wahrhaftige Liebe!
So empfindet man es in jeder Aufführung, gerade weil Beethovens Fidelio ein
Werk voller Brüche und unabgeschlossener dramaturgischer Baustellen ist,
weit entfernt von der marmornen Ebenmäßigkeit, zu der dieses »Meisterwerk«
gerne idealisiert wird.
Drei Fassungen der Oper hat der Komponist erstellt und mehrere Ouvertüren
geschrieben. Die Verkantungen zwischen der kleinbürgerlichen Singspielebene,
auf der sich Marzelline nach der »Ruhe stiller Häuslichkeit« sehnt, und dem
hochfliegenden Menschheitsbefreiungsoratorium, in das Beethoven das Stück im
zweiten Teil münden lässt, sind trotzdem geblieben.
Es gehört zur Aufführungstradition des Fidelio, dass jede Produktion sich
ihren eigenen Weg durch die Fassungen und Ouvertüren-Varianten bahnt. Die
gesprochenen Dialoge waren dabei von jeher Verfügungsmasse für
Bearbeitungen. Vor vierzig Jahren etwa fanden es die Regisseure schick, den
fragmentarischen Charakter des Stücks zu akzentuieren und die Dialoge durch
Fremdtexte zu ersetzen.
Dann traten Sprecher an die Bühne und verlasen Gedichte von Nelly Sachs und
Bert Brecht oder politische Zwischenkommentare, wie sie Hans Magnus
Enzensberger 1974 für eine Inszenierung in Bremen (im Bühnenbild des
Nagelkünstlers Günther Uecker) verfasst hat.
In letzter Zeit aber scheint die Sehnsucht nach Geschlossenheit des Werks
wieder stärker zu werden. Deshalb hat Gerard Mortier, der Chef der Pariser
Oper, den Frankfurter Schriftsteller und letztjährigen Büchner-Preisträger
Martin Mosebach gebeten, neue Dialoge für seine Fidelio-Produktion zu
verfassen, gewiss kein Mann, der für Aktualisierung oder Politisierung von
außen steht.
Und tatsächlich: Mosebach zielt in seinen Texten auf eine literarische
Veredelung durch Einfühlung in die Figuren. Er denkt sie weiter und tiefer
und lässt ihre zweiten und dritten Gedanken deutlich werden, über die das
Ursprungslibretto unbekümmert hinweggeht. Jacquino lässt er aussprechen, was
er in Bezug auf Marzelline empfindet; dass eine Ehe eine Firma ist, bei der
sich, solide geführt, die Liebe irgendwann schon als Geschäftserfolg
einstellen wird.
Fidelio/Leonore ist bei ihm vom ersten Auftritt an als die alles
durchschauende Menschenretterin erkennbar: Sarkastisch zählt sie die
Quälinstrumente auf, von der Peitsche bis zur Kapuze, die im Folterkeller
dieses Stücks bereitliegen. Pizarro, der kalte Machttaktiker, doziert auf
dem Weg zur Mordtat im Selbstgespräch über das »Gesetz des Säuberns« und den
wunderbaren »Zustand der Unschuld«, der eintritt, wenn auch der letzte
Mitwisser beseitigt ist. Präzise gedacht ist das und in knappen,
bilderstarken Sätzen formuliert. Mosebach ist eben ein Dichter.
Wenn nur der Regisseur Johan Simons und Sylvain Cambreling am Dirigentenpult
die so gewonnene Tiefenschärfe nicht wieder eingetrübt hätten. Vor allem
Cambrelings zähe Tempi machen aus diesem Pariser Fidelio ein gruftiges Stück
wie aus der Schwermutshöhle.
Leonore ist keine flammende Hoffnungsträgerin, sondern eine (von Angela
Denoke elegisch verschattet gesungene) Leidensfigur. Roccos Goldarie klingt
wie ein Depressionsanfall. Florestan, den Jonas Kaufmann mit enger Stimme
arg verhärmt gibt, wächst über die Rolle des armen Opferwürstchens nie
hinaus. Sogar der Schurke Pizarro (Alan Held) scheint an seinem Bösesein
schwer zu leiden.
In solcher Tristesse wirkt der himmelsstürmende Schwung des Finales, in dem
sich Cambreling dann doch noch ein bisschen Leidenschaft abringt, umso
irritierender. Der Musik bleibt - einmal mehr - nichts anderes, als über
alles hinwegzufegen.
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Leser-Komentare |
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beethoven2008 » 04.12.2008 |
Ohrenarzt
"Florestan, den Jonas Kaufmann mit enger Stimme arg verhärmt gibt" Sie
sollten nicht lange zögern und ihren Ohrenarzt konsultieren. Offensichtlich
haben sie ganz etwas anderes gehört als 30 andere Kritiker aus Frankreich,
England, Österreich und Deutschland und als ich. Die anderen Kritiker und
ich haben nämlich den besten Florestan seit Jahrzehnten gehört. Von enger
Stimme keine Spur. "von Angela Denoke elegisch verschattet gesungene" nichts
gegen Frau Denoke, aber auch da haben sie offentlich etwas anderes gehört,
vor allem in der Premiere, nicht so sehr in der 2. Aufführung. Sie war im 2.
Akt doch an den Grenzen ihrer Möglichkeiten und von elegischer Verschattung
kann man da wohl kaum sprechen.
Sorry habe die italienischen Kritiker noch vergessen, hier die englische
Version aus "giornale della musica":
"Kaufmann was simply perfect: nothing to say about his sensual timbre,
capable of a captivating legato, or about his range of colours that goes
from pathetic to heroic and from pianissimo to a never-shouted forte. He is
good at everything: even at singing lying down almost on his stomach. He is
so good that we almost forget he is a singer. "
1.2.nina » 04.12.2008
Deutsche Kritiker
Es ist doch einfach nicht zu fassen, dass an dem Tenor Jonas Kaufmann,
der weltweit beste Kritiken erhält und dessen Florestan von der Presse
hochgelobt wurde, hier wieder heruntergeputzt wird. Es zeugt doch von einer
geringen Sachkenntnis, dass gerade bei Ihrer Zeitung die Kritiker immer
vöölig anderer Meinung sind. Man meint, J.K. hätte Ihnen persönlich etwas
getan.
Ruth Hartmann » 04.12.2008
Des Dichters Glanz, elegisch verschattet
Wer immer diese Kritik verfasst hat, muß entweder Hörfehler haben oder
auf den Ohren gesessen haben. Ich kann mich meinen "Mitkommentatoren"nur
anschliessen - Jonas Kaufmann hat seine Partie exzellent gesungen und
dargestellt! Außerdem - warum müssen Ihre Kritiken immer auf so schnoddrige
Art und Weise zum Ausdruck kommen, haben Ihnen die Künstler eigentlich etwas
Schlimmes angetan? Es ist einem zuwider, daß auf diese arrogante und alles
besser wissenden Art die großartige Arbeit dieser Künstler zunichte gemacht
wird. Möge Ihnen da nie passieren!
Fidelioparis » 04.12.2008
Fidelio
Sehr geehrter Herr Cahn,
ich bin entsetzt über die Niveaulosigkeit Ihrer Fideliokritik.
Gitarrespielen scheint doch ein schlechtes Gehörtraining zu sein zur
Beurteilung von Opernaufführungen. Vielleicht war es auch nur der schlechte
Mitschnitt??
Kein Musiker auf und unter der Bühne im Palais Garnier hatte am 25.11.08
eine so unsachgemäß negative Kritik verdient.
Klara Ziehm » 04.12.2008
Bitte mehr Respekt vor den Künstlern
Sehr geehrter Herr Spahn,
ich finde es schade, dass Sie nicht zwischen der Inszenierung und den
Leistungen der Sänger unterscheiden.
Die Inszenierung haben Sie in Ihrer Kritik zwar kaum erwähnt, da sie Ihnen
anscheinend nicht gefallen hat bzw. Ihren Vorstellungen nicht entsprach,
aber Sie haben Ihre Aussagen über die Sängerleistungen doch sehr damit
„verschattet“.
Ich persönlich fand das weniger dramatische, mehr leidende Bild der Leonore
interessant und die Rolle des gebrochenen zerstörten Florestan sinnig (ein
„Würstchen“ konnte ich in dieser gequälten Kreatur aber beim besten Willen
nicht erkennen), im übrigen erstaunlich glaubhaft dargestellt durch beide
Sänger.
Ich erwarte, dass eine Rezension zwischen den Vorgaben der Inszenierung, der
musikalischen Umsetzung, der Bühnendarstellung und der gesanglicher Leistung
unterscheiden kann.
Da Sie aber die Begrifflichkeiten miteinander vermischen, ergibt sich aus
Ihrer Kritik ein rein negatives Bild, das den Leistungen der Sänger meiner
Meinung nach nicht gerecht wird.
Als Ausgleich möchte ich deshalb zumindest teilweise mein Meinungsbild hier
skizzieren, das ich mir bei dem Besuch einer Fidelio-Aufführung letzte Woche
machen konnte.
Angela Denoke hat eine eher lyrische aber volle Stimme mit einem sinnlichen
Timbre, aber ihr fehlt in den dramatischen Passagen die Stärke, sie verliert
hier den Focus und hat Intonationsschwierigkeiten, was den Gesamteindruck
leider trübt. Für die in dieser Inszenierung vorgesehene
Rolleninterpretation war sie meiner Meinung nach sinnvoll besetzt, sie hat
stimmlich wunderschön gestaltet und mich sowohl mit ihrem Spiel als auch in
den Sprechpassagen überzeugt.
Jonas Kaufmanns Stimme ist wahrscheinlich am Besten mit dem Begriff
„ungewöhnlich“ zu beschreiben, sie ist sehr farbenreich und klingt
erstaunlich viril. Bei ihm kommen die Brüche zwischen Inszenierung und Musik
am deutlichsten zum Vorschein, während er die nicht gerade einfache Partie
mit Leichtigkeit bewältigt, spielt er erschreckend überzeugend einen
zerbrochenen Charakter, ein teilweise verblüffender Gegensatz.
Ich konnte keinerlei enge Stimme hören, aber stattdessen ein technisches
Können bewundern, das Herrn Kaufmann in die Lage versetzt, mit jederzeit
kontrollierter Stimme unangestrengte Legatobögen zu singen, vom fast
unhörbaren Pianissimo bis zum (glücklicherweise niemals gebrüllten)
Fortissimo mit der Dynamik zu spielen und das alles in teilweise sehr
ungewöhnlichen Körperhaltungen.
Ich stimme mit Ihrer Kritik an Cambrelings Dirigat in Bezug auf die
Tempowahl überein, aber das „himmelstürmende Finale“ war in meinen Ohren
einfach nur lauter Krach, das habe ich schon viel kultivierter, jubelnder
und vor allem überzeugender gehört.
Kritiken weichen oft weit auseinander, die Wahrheit liegt meist irgendwo in
der Mitte.
Aber mit Verlaub, im Hinblick auf Ihr Urteil über die gesanglichen
Leistungen, insbesondere des Herrn Kaufmann, würde ich – nicht nur im
Vergleich mit den bisher erschienenen Rezensionen - sagen, dass Sie hier
wohl der Streichfaktor sind.
Mit freundlichen Grüßen
Klara Ziehm
Gilda22 » 04.12.2008
Niveaulosigkeit
Vielleicht ist diese Niveaulosigkeit überregionaler Tageszeitungen ein
Versuch neue Leserkreise zu erschließen. Geben Sie es auf, die
Boulevardblätter können das viel besser und nicht halb so subjektiv. Mit
Ihrer Art zu schreiben stellen Sie Ihren Lesern, die objektiv informiert
werden wollen, ein Armutszeugnis aus. Wäre ich Abonnent der Zeit wären
"schnodderige"Artikel dieser Art ein Grund für mich nach einer
glaubwürdigeren Zeitung zu suchen.
Ruth Hartmann » 05.12.2008
Kommentar Frau Klara Ziehm
Sehr geehrte Frau Ziehm,
Ihr Kommentar entspricht voll und ganz meinem Urteil. Ich hatte gestern
nur keine Zeit, etwas längeres darüber zu schreiben, aber weil ich mich
wirklich sehr geärgert hatte, wollte ich gleich mal meinen Frust
loswerden. Es freut mich, daß ich Mitstreiter hatte.
Ihnen alles Gute.
Ruth Maria
AlinaAndrea » 05.12.2008
Fidelio/Florestan
Seehr geehrter Herr Spahn,
Schade dass Sie, obwohl offensichtlich ein Bewunderer von Beethovens Musik,
so wenig von der Leistung der Kustler in diesem Fidelio beruhrt wurden. Sie
widmen ihnen recht wenige Worte und auch das in einem leicht abschatzenden
Ton.
Dass ein durch Folter geblendeter, verhungerter, verdursteter und
offensichtlich physisch fast gebrochener Florestan fur sie nur ein
„Opferwurstchen“ ist, empfinde ich als traurig. Ich personlich fand in
dieser Produktion der Kontrast zwischen dem unmenschliche Zustand dieses
Florestan und der tief menschlichen Ausdruckskraft von Jonas Kaufmanns
Stimme besonders gefuhlsbetont. Fur mich hat er sehr gut verdeutlicht, dass
Florestan uber seine Leiden hinauswachst, seine Wurde, seinen Glauben, seine
Menschlichkeit und vor allem seine Liebe zu Leonore nie aufgibt.
Auch Angela Denokes Leonore fand ich realitatsgetreu nicht nur als
Kampferfigur, sondern vor allem als liebende Gattin, die selbstverstandlich
unter der zweijahrigen Abwesendheit des Gatten leidet.
Mich hat „das Mass der Leiden“ dieser durch die Sanger wunderbar
verkorperten Personen beeindruckt und die sowohl lyrische als auch
dramatisce Gestaltung der Partitur, besonders durch Jonas Kaufmann, war eine
der gelungensten Interpretationen von Beethovens Musik, die ich je gehort
habe. Ich hatte erwartet dass Sie die kunstlerische Leistung am Abend
einfuhlsamer und mit ein bischen mehr Respekt behandelt hatten.
Mit freundlichen Grüßen
Alina
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