|
|
|
|
|
Opernwelt |
Frieder Reininghaus. |
Beethoven: Fidelio, Paris, Opéra Garnier, 25. November 2008
|
Mosebachs Monologe
|
|
|
Seit einiger Zeit schon passen Theatermachern
die Texte von Beethovens «Leonore»/«Fidelio» nicht mehr so recht ins
Konzept. Mit dem Hohelied auf Ehe und Familie im Gefängnishof können sie so
wenig anfangen wie mit dem Gottvertrauen des politischen Gefangenen im
finsteren Verlies. Das .Jubelkantaten-Finale erscheint gar als Zumutung — es
wird gern als konzertanter Schluss angehängt — ein Appendix, der aus der
vorausgehenden Handlung kaum abzuleiten ist. Johann Kresnik sorgte bereits
vor gut zehn Jahren in Bremen für eine gründliche Dekonstruktion des
Stoffes: Den ersten Akt zeigte er in Anspielung auf die bedrohte Existenz
von Werftarbeitern, den Kerker-Akt rückte er aus dem Dunkel ins grelle Licht
einer Bier-tenne. Und ein satt rülpsender Florestan lallte im Voll-rausch
von allen möglichen Liebchen, desinteressiert an Gattin und Befreiung.
Gründlicher ließ sich gegen Joseph Ferdinand von Sonnleithners Libretto
nicht opponieren, einen Text, den Friedrich Treitschke zum ldeendrama zu
promovieren suchte. Auch alle Bemühungen, das Stück als provokante
Politparabel einzurichten, sollten mehr oder wenig kläglich scheitern —
zumal wenn die Handlung in ein Nazi-KZ oder nach Guantanamo verlegt wurde.
Neuere Inszenierungen streben dergleichen auch gar nicht mehr an, verzichten
insbesondere auf nahe liegende Aktualisierungen. Sie meiden konkrete
historische oder gegenwärtige Bilder, thematisieren vielmehr Macht, Gewalt,
Autorität, die Gefährdungen der Freiheit im Allgemeinen. Das Auffälligste an
den jüngsten Beschäftigungen mit dem Fall «Fidelio» ist die freie
Bearbeitung der Texte: Diese werden, auf dass der Wärmestrom und das Pathos
der Musik im Kontrast zum gesprochenen Wort wieder voll zur Geltung kommen,
umfassend retuschiert. Amelie Niermeyer zum Beispiel nähert die Sprache in
ihrer Inszenierung für die Deutsche Oper am Rhein durchgängig jener der
TV-Soaps an (siehe Seite 43 dieses Heftes). Dem niederländischen
Schauspielregisseur Johan Simons ging für die Neuproduktion der Pariser
Nationaloper Martin Mosebach zur Hand. Der Frankfurter Romancier und
Büchner-Preisträger hat sämtliche Dialoge neu geschrieben. Er lässt
Marzelline (die mit robustem stimmlichen Mandat ausgestattete Julia Kleiter)
gleich nach ihrem Auftritts-Couplet über die Männer sinnieren. Sie wägt ab
zwischen dem «Männer-mann» Jaquino, mit dem sie sich verlobte, und dem neu
hinzugekommenen Fidelio, der so sanft und zäh, weich- und weißhäutig sei.
Man arbeitet in einer modernen, gläsern-metallischen Verwahranstalt.
Gouverneur Pizarro (der Baumstammbariton Alan Held) erläutert, deutsch
radebrechend, in einem längeren Monolog beim ersten Auftritt, sein Freund,
der Minister, wolle zwar eine genaue Überprüfung der Sicherheitsapparate,
diese solle aber keinerlei Anlass zu öffentlicher Kritik bieten.
Oberschließer Rocco reflektiert, bevor er von der belebenden Wirkung des
Geldes sengt, über die «Strafmaschine des Staates». Mosebachs Texteinschübe,
zunächst durchaus motivierend, kranken zunehmend daran, dass es sich
durchweg um Monologe handelt. Sie wirken allzu retardierend, stellen sich
quer zur Dramaturgie des Werks.
Johan Simons, der die Hauptpersonen des Stücks genau charakterisiert und
führt, erspart den Besuchern der Pariser Oper grelle Zutaten (Projektionen,
Rollentausch oder Vervielfachung der Figuren). Er bietet eine handwerklich
solide Arbeit, die am Grundgerüst der Handlung nicht rüttelt. Sylvain
Cambreling dirigiert detailreich, das meiste mit ruhiger Hand, treibt den
unvermittelt hereinbrechenden Schlusschor hinsichtlich Lautstärke und Tempo
freilich ins Exzessive. Jonas Kaufmann profiliert sich als Florestan mit
(manchmal zu viel) Nachdruck. Und sollte Angela Denoke ihre
lntonationsprobleme noch in den Griff bekommen, so böte das Palais Garnier
den hörenswertesten «Fidelio» seit geraumer Zeit.
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|