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Art-TV, 29. Juni 2008 |
Kaspar Sannemann |
Bizét: Carmen, Zürich, 28. Juni 2008
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Opernhaus Zürich | Carmen
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Diese CARMEN ist szenisch und
musikalisch ein Ereignis; Weltklasse in Zürich mit dem beeindruckenden
Rollendebüt von Vesselina Kasarova und Jonas Kaufmann als Don José! |
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„Gott! welch Licht hier!“, ist man – in leichter
Abänderung eines Fidelio Zitats – versucht auszurufen angesichts der
raffinierten Lichtgestaltung dieser Carmen-Produktion von Martin Gebhart.
Von der grauen Morgendämmerung des Beginns, über die zunehmend schwüler
werdenden Vormittagsstunden zur Abenddämmerung in der Kneipe von Lillas
Pastia, von der Vollmondszene im dritten Akt zur gleissenden Mittagshitze
auf der Plaza vor der Arena durchzieht ein ausgeklügeltes, schlüssiges
Konzept diesen in allen Belangen stimmigen Abend. „Licht“ auch in der
musikalischen Umsetzung mit dem mit grosser Spannung erwarteten Rollendebüt
von Vesselina Kasarova in der Titelpartie. Jenseits von allen
Rollenklischees IST die Kasarova Carmen, gleich einer unbezähmbaren Katze
schmeichelt sie, stösst zurück, nähert sich beinahe schnurrend wieder an, um
gleich darauf die kurzen Locken widerborstig zu schütteln, sie mokiert sich
über beinahe alles und jeden, beharrt trotzig auf ihrem für sie so
selbstverständlichen sexuellen Selbstbestimmungsrecht in diesem vom Machismo
dominierten Umfeld. Die darstellerische Raffinesse geht einher mit der
musikalischen: So subtil, so differenziert, so dunkel und tiefgründig, aber
auch so blitzsauber (und blitzgescheit!) und trotzdem erotisch lodernd hat
man Carmen wohl noch kaum je gesungen gehört. Nicht die bekannte Habanera
oder die Seguedille wurden zu den Höhepunkten (obwohl auch diese makellos
gesungen wurden), sondern die schwermütige Kartenarie im dritten Akt und die
Schlussszene, die an Eindringlichkeit kaum zu übertreffen sein werden. Wie
hier José und Carmen wie verwundete Raubkatzen um den Olivenbaum schleichen,
sich einander annähern, sich vom bedrohlichen Flüsterton zum
leidenschaftlichen Ausbruch steigern, der im Mord an Carmen kulminiert, wie
sie den Todesstoss, obwohl erwartet, doch ungläubig, ja beinahe bewundernd
entgegen nimmt, das erzeugte Gänsehaut und war darstellerisch und gesanglich
eine Glanzleistung der beiden Protagonisten. Zugleich zeigte sich da einmal
mehr, wie genau Regisseur Matthias Hartmann die Personen zu führen vermag,
wie sorgfältig er auf Musik und Text hört. Gleich einem spannenden
Psychothriller läuft das Geschehen ab. Jede Figur ist exakt gezeichnet: Der
grüblerische Student Don José in Polizeiuniform, der offensichtlich den
falschen Beruf gewählt hat, wahrscheinlich seiner Mutter zuliebe, und sich
in der primitiven Umgebung seiner sich an Pin-ups aufgeilenden Kumpanen
sichtlich unwohl fühlt; die liebende, besorgte und doch mutige Micaëla
(Isabel Rey, mit herrlich aufblühender Stimme in ihrer grossen Arie und im
Duett), die den widerlichen Machos trotzt; ein Escamillo (Michele Pertusi,
wunderbar präsent, höhensicher und kräftig), welcher auch ohne kitschiges
Torerokostüm und billige Allüren für Carmen attraktiv ist; der schmierige
Morales (Krešimir Stražnac), der dank seiner sonst meist gestrichenen Szene
im ersten Akt Profil erhält; die Schmuggler Dancaïre (der wie stets
attraktiv aussehende und brillant singende Gabriel Bermúdez) und Remendado
(Javier Camarena), die ihr machohaftes Gehabe genauso ausleben wie auf der
Gegenseite Leutnant Zuniga (Morgan Moody); die Zigeunerinnen Frasquita (Sen
Guo) und Mercédès (Judith Schmid). Sie alle sangen und spielten grandios,
das Schmugglerquintett im zweiten Akt wurde so zu einer Sternstunde des
Operngesangs.
Ein grosses Lob gebührt auch der Choreographin Teresa Rotemberg für ihre
eindringlich gestalteten Massenszenen und Tänze. Der Chor, der Zusatzchor,
sowie der Kinder- und Jugendchor des Opernhauses Zürich sangen und agierten
bewundernswert!
Die von Volker Hintermeier gestaltete Bühne und die schlichten und doch so
stimmig mediterran wirkenden Kostüme von Su Bühler liessen den
Darstellerinnen und Darstellern genügend Raum für das intensive Spiel. Eine
weisse, ovale Scheibe, welche nur für den dritten Akt mit einem dunkel
gefleckten Belag versehen wurde und wenige Versatzstücke reichten vollkommen
aus, um stimmungsvolle Bilder zu erzeugen. Der Souffleurkasten wurde für
jeden Akt anders verhüllt: Im ersten Akt war es ein in der Hitze schlafender
Hund, der aber zur Belustigung des Publikums auch mal mit dem Schwanz wedeln
konnte, im zweiten Akt war es ein billiger Weinkarton, im dritten ein
Felsbrocken und im vierten Akt schliesslich der Totenschschädel eines
Stiers.
Franz Welser-Möst, mit seiner letzten Premiere als GMD, und das Orchester
der Oper Zürich loteten die Partitur sehr genau aus, und doch wirkte alles
äusserst organisch, wie aus einem Guss. Wunderbare Soli der Holzbläser,
satter, warmer Klang der Streicher, rasante und stimmige Tempi sowie eine
ausgezeichnete Balance zwischen Stimmen und Orchesterklang brachten Bizets
meisterhaftes Werk zum Lodern. In den vergangenen Jahren hat man sich an die
Dialogfassung der CARMEN gewöhnt. In Zürich spielt man diesmal eine auf der
kritischen Neusausgabe durch Michael Rot beruhende Fassung des Werks, mit
den von Guirod nachkomponierten Rezitativen. Damit umgeht man den
Spannungsabfall, der durch hölzern gesprochene Dialoge entstehen könnte. Ein
kluger Entscheid!
Das Publikum schien sich an diesem warmen Sommerabend zuerst an diese Lesart
der CARMEN, die jenseits aller Postkartenidyllen ablief, gewöhnen zu müssen.
Deshalb hielt sich der Zwischenapplaus wohl in Grenzen. Am Schluss aber
erhielten alle verdienten Jubel. Am heftigsten gefeiert wurde Jonas
Kaufmann als Don José. Das Porträt dieses vom unerfahrenen, verträumten
Jüngling zum vor Eifersucht rasenden Liebhaber „gereiften“ Mannes überzeugte
in all seinen differenzierten Schattierungen restlos. Sein sonst meist
baritonal timbrierter Tenor klang eher heller und harmonierte wunderbar mit
Kasarovas dunklem Mezzo. Der kultivierte Pianogesang, die ausdrucksstarken,
nie unkontrollierten Steigerungen und die expressiven Phrasen in seiner
grossen Arie La fleur que tu m’avais jettée zeigten die ganze Zerrisenheit
dieser Figur. Welch ein Glück, diesen sympathischen Mann am Opernhaus Zürich
zu haben, ihn in immer neuen Partien erleben zu dürfen.
Fazit:
Ein mitreissender, unter die Haut gehender Opernabend in traumhafter
Besetzung.Weltklasse!!! |
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