Opernglas 4/2007
Th. Baltensweiler
Mozart: Die Zauberflöte, Zürich, 17. Februar 2007
Die Zauberflöte    
Viel hat man schon gerätselt über den Bruch, der mitten durch die “Zauberflöte« geht. Als Pamina nämlich Sarastros Reich betritt, kehren sich die zuvor vermittelten Werte plötzlich um. Die Königin der Nacht erscheint nun nicht mehr als liebende Mutter, sondern als intrigante Rächerin, wogegen Sarastro sich in der Wahrnehmung Taminos vom Frauenräuber und -verführer zum weisen Herrscher wandelt. Bei Martin Kusej im Zürcher Opernhaus werden solche Ungereimtheiten - und darin besteht eine Stärke seiner von einem größeren Teil des Publikums heftig abgelehnten Inszenierung aufgehoben in einer Betrachtungsweise, welche die Figuren aus mehreren Perspektiven zeigt. So wird bei der ersten Begegnung Taminos mit dem Dunstkreis Sarastros deutlich, dass hier nicht nur milde Humanität herrscht. Ein Schwerverletzter wird weggetragen.- „Opfer“ des Sprechers, der sich im Fechten übt. Die „wilden Tiere“, die es laut Text in Sarastros Reich gibt, werden von Kusej ersetzt durch Männer, die ein Beil schwingen. Pamina schließlich ist nicht die Einzige, die wider ihren Willen zu Sarastro gebracht wurde: Kusej führt zusätzlich drei unverkennbar traumatisierte Mädchen in die Handlung ein.

Sein Ansatz nimmt sich denn auch psychologisierend aus - am meisten bei Tamino, der in Papageno auf sein Alter Ego trifft, was von der Bewegungsregie und der Personenführung sorgsam herausgearbeitet wird. Entsprechend trägt auch der Vogelfänger einen - freilich arg verschmutzten und zerknitterten - Smoking (Kostüme: Heidi Hackl). Da die „Reise“ Taminos letztlich zu einer Selbstergründung wird, folgt auch das von Rolf Glittenberg entworfene Bühnenbild nicht einem äußerlichen Realismus. Ein nüchterner Raum mit grauen Steinplatten an den Wänden setzt die Darsteller schutzlos sich selbst aus.

Die Eindimensionalität der Produktion wird optisch widergespiegelt durch das Bühnenbild, das für die über dreieinhalb Stunden Aufführungsdauer wenig Reiz bietet. Wenn die Inszenierung einen zusehends ermüdet, liegt das aber auch daran, dass zu viele altbekannte Versatzstücke des Regietheaters verwendet werden. Da gibt es Benzinfässer, Taschenlampen, eine Badewanne, Darsteller in Unterhosen...

Inmitten des Ganzen fand sich bei der Premiere ein Paar, das sich die Natürlichkeit des Singens wohltuend bewahrte. Julia Kleiter war eine Aufsehen erregende Pamina: mit einem warmen, substanzvollen, dabei aber schlank geführten Sopran und einer klar zeichnenden Phrasierung. Kleiter befreite die Pamina von aller falschen triefenden Mädchentragik und machte aus der Figur eine selbstbewusste, aber empfindsame junge Frau. Als Tamino war kurzfristig Jonas Kaufmann eingesprungen (auf dem Besetzungszettel war noch der Name des ursprünglich vorgesehenen Christoph Strehl gedruckt). Kaufmann gelang nicht nur das Kunststück, sich binnen weniger Stunden in die Inszenierung einzuarbeiten; er war auch stimmlich in hervorragender Verfassung. Sein Tenor gewann über einem satten, dunklen Fundament hohe Strahlkraft und verströmte sich mit großer Flexibilität und klanglicher Kohärenz.

Matti Salminen als Sarastro vermochte seinen voluminösen Bass schlank zu führen und zeigte, dass er sich auch nach ungezählten Wagner-Einsätzen das Feingefühl für Mozart bewahrt hat. Der gerade 26-jährige Ruben Drole gab einen Papageno von holzschnittartig.kräftiger Differenzierung. Als Papagena ließ Eva Liebau einen hellen Sopran hören und entwickelte viel vokalen Charme. Gut, dass die Rolle einmal nicht mit einer Anfängerin besetzt war. Das Trio der drei Damen glänzte mit stimmlicher Üppigkeit, wobei Sandra Trattnigg, Martina Welschenbach und Katharina Peetz im Timbre optimal miteinander harmonierten. Elena Mosuc dagegen hatte einen schwereren Stand als sonst. Ihrer Königin der Nacht wurden unerwartet dramatische Akzente abgefordert, selbst in die Koloraturen hatte sie ein Crescendo zu legen - und das beeinträchtigte wohl ein wenig die Mühelosigkeit der Höhenattacke. Gabriel Bermüdez blieb als Sprecher, sieht man von seiner athletischen Erscheinung ab, etwas blass. Der von Ernst Raffelsberger einstudierte Chor verstand es, die ungewohnten Vorgaben des Dirigenten Nikolaus Harnoncourt bestens umzusetzen.

Harnoncourt bürstete das Stück wider den Strich - oder besser: die Hörtraditionen - und brachte damit das Orchester der Oper Zürich an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit. Der Klang wies eine warme Grundierung auf, in der das Holz und die Kontrabässe mehr als üblich hervortraten. Die Tempi waren langsam; dennoch verstand es Harnoncourt, Betonungen mit Tempovariationen (meist in Form zusätzlicher Verlangsamungen) zu erzeugen. Man hörte aufregend viel Neues -und hätte sich doch zuweilen ein etwas herzhafteres Musizieren gewünscht.






 
 
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