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Salzburger Nachrichten vom
18.06.2007 |
Derek Weber |
La Traviata, Paris, Palais Garnier, 16. Juni 2007
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„Da werden sich doch manche Besucher, die mit
den Namen Christoph Marthaler und Anna Viebrock nicht vertraut sind,
schwarz geärgert haben. Zumindest war die Publikumsreaktion auf das
Leading Team am Ende der Premiere von Giuseppe Verdis Oper „La Traviata“
ziemlich geteilt: Viel weiße Begeisterung und gut gebrüllte tiefschwarze
Buhs hielten sich die Waage. Und in der Tat: In dieses morbide Ambiente
der alten Pariser Oper im Palais Garnier – die noch bis 2009 zu Gérard
Mortiers Reich gehört – hätte ein alter Kitschhase wie Franco Zeffirelli
eine überladene Inszenierung hineingewuchtet, die mit Anspielungen ans 19.
Jahrhundert nicht gespart hätte. Stattdessen gab’s als Viebrock-Bühnenbild
einen quer gestellten, leeren, großen Raum mit einem erhöhten Etwas im
Hintergrund, das sich im Lauf der Handlung als Leinwand-Portal eines alten
Kinotheaters erwies. Dementsprechend beginnt das rauschende Festbild des
ersten Akts mit dem Eintreffen der in Dior-Roben gekleideten Gäste vor der
Garderobe des Theaters, sozusagen ein Startzeichen für Marthalers absurden
Bewegungs-Humor: Ein Garderobier wird mit Mänteln aller Art so lange
überladen, bis er niederbricht, der Chor verfällt mit den Garderobezetteln
in den Händen in ein spastisches Bewegungsballett. Vier Tänzer bilden die
Spitze des Eisbergs dieser motorisch und sonst wie gestörten Gesellschaft.
So ganz gelungen ist das alles nicht, doch ist es in sich stimmig und
unverwechselbar. Die Personenführung ist ein wenig plakativ und besonders
im Landhaus-Bild des zweiten Akts erstaunlich steif und statisch. Das
scheint auch daran zu liegen, dass Marthaler manches auf die Bühne stellt,
was die Musik nicht sagt. Am Beginn des Bildes versucht Alfredo Germont,
auf der Hinterbühne einen kaputten Rasenmäher zu reparieren. Wenn sein
Vater Giorgio (José Van Dam) auftritt, sollte man den steifen Bürger
hören. Bei Marthaler wird er zum bösen Alten. Van Dam, der mit den Höhen
der Partie seine liebe Not hat, unterstreicht das ungewollt durch
unflexibles Phrasieren. Und Sylvain Cambreling als Dirigent trägt seinen
Teil durch überraschend schwergewichtige und gedehnte Tempi dazu bei. Ganz
in seinem Regieelement hingegen ist Marthaler im nächstem Bild, dem Fest
bei Flora Bervoix. Diese hurige Flora (Helene Schneiderman) wird man
ebenso im Gedächtnis behalten wie die poltrige Annina (Michèle Lagrange).
Hier hat auch der Chor seinen glanzvollen Auftritt zwischen Tanz und quasi
spastischen Anfällen: Alles Bürger- und Halbwelt, alle reif für die
Trinkerheil- und Irrenanstalt. Selbst Alfredo (makellos: Jonas Kaufmann)
besäuft sich in diesem Bild, ehe er den Mut hat, Violetta zu beleidigen,
um dann verzweifelt vor ihr niederzubrechen. Diese kranke und gekränkte
Violetta ist das Kraftzentrum des Abends: Christine Schäfer spielt und
singt die leidende, von Anfang an zum Sterben und Erniedrigtwerden
bestimmte Person, die weder in der gestörten Spaßgesellschaft, noch in der
Bürgerwelt ihren Platz hat, mit unnachahmlicher Intensität, bar jedes
Anflugs von Divenhaftigkeit. Am Ende ist sie ganz auf sich allein
gestellt. Während die anderen auf der fernen Hinterbühne verharren, steigt
sie in die Welt des Blumenmülls herab, die vorn ausgebreitet ist. Sie
stirbt an dem, was diese Welt der rauschenden Feste aus ihr gemacht hat,
und an der Unerreichbarkeit des „normalen“ bürgerlichen Lebens.“ |
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