Die Südostschweiz, 23.10.2007
Reinmar Wagner
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
Opernmärchen für Erwachsene mit einem todtraurigen Ende
Statt «Hänsel und Gretel» einmal «Die Königskinder»: Das Zürcher Opernhaus hat eine unbekannte, aber faszinierende Märchenoper von Engelbert Humperdinck auf die Bühne gebracht. Die Inszenierung von Jens-Daniel Herzog überzeugte.

Er ist der Märchenopernkomponist par excellence, Engelbert Humperdinck, der von 1854-1921 lebte. Nicht nur mit «Hänsel und Gretel» - sogar im Mozart-Jahr 2006 die zweitmeistgespielte Oper -, sondern auch mit den kaum bekannten Opern «Dornröschen» und «Die sieben Geisslein» deckte er zu seiner Zeit sehr erfolgreich das Genre ab. Bei den «Königskindern» liegt die Sache insofern anders, als Humperdinck nicht eines der Grimmschen Volksmärchen vertonte, sondern das Kunstmärchen einer eher zweifelhaften Schriftstellerin, Elsa Bernstein, die Tochter eines Bayreuther Freundes. 1897 entstand zuerst ein Melodram zu diesem Text, zehn Jahre später arbeitete Humperdinck diesen Entwurf, der zuerst auf wohlwollende Zustimmung stiess, sich aber im sperrigen Sprechgesang als ungeeignet erwies, zu einer richtigen Oper um. Die Uraufführung 1910 wurde zum Triumph für den Komponisten, und viele Theater spielten das Stück in den nächsten Jahren nicht minder erfolgreich nach.

Zum Stadttor hinausgejagt

Märchenhaft an der Geschichte um ein junges Mädchen, das von einer Hexe gefangen gehalten wird, zufällig den Märchenprinzen trifft und sich in dessen Suche nach würdigem Königtum selbst ihrer königlichen Würde bewusst wird, sind viele Elemente der Figuren und Konstellationen, unter ihnen auch die zentrale Rolle eines Spielmanns, der immer wieder die Handlung vorantreibt. Märchenhaft die Stadt Hellabrunn - satt, reich, zufrieden -, die nichts vermisst als einen König und sich von der Hexe die Prophezeiung holt, dass König sein solle, wer am nächsten Mittag zuerst durch das Stadttor schreite. Natürlich ist das Mädchen auf der Suche nach seinem Prinzen, den es unter den Dienern der Stadt auch wieder findet. Die Hellabrunner aber wollen keine Bettler als Könige, die Königskinder werden aus der Stadt gejagt, der Spielmann wird gefoltert, die Hexe verbrannt.

Gar nicht märchenhaft aber ist das Ende, das sich eben nicht zum Guten wendet, sondern den Tod der beiden Königskinder in einer bewegenden Szene schildert - kein Liebestod wie im «Tristan», mehr eine religiöse Apotheose, das Scheitern an einer Gesellschaft, die noch nicht bereit ist für die Würde dieses auf Menschlichkeit und inneren Werten beruhenden Königtums.

Diese Botschaften hat der Regisseur Jens-Daniel Herzog in seiner Inszenierung am Zürcher Opernhaus sehr schön herausgearbeitet - er inszenierte hier schon «Tannhäuser», «Pique Dame» und Händels «Orlando» auf jeweils verschiedene, aber stets beeindruckende Weise. Schlüssel zum Erfolg war sein beeindruckendes Handwerk und viele gute Ideen, welche das Kunststück fertig bringen, die Substanz zu zeigen, ohne das Märchen zu verleugnen. Meisterhaft etwa, wie er die Atmosphäre in der satten Stadt mit vielen Details in der Personenführung schildert, die Volksfeststimmung in Erwartung des Königs so lebensecht auf den Punkt bringt, dass man nicht umhin kommt, darin einen Spiegel heutiger Volksbelustigungen zu sehen. Und selbst wehende Schneeflocken - eines der gefährlichsten Theater-Elemente - sind hier auf eine Weise eingesetzt, die nicht nur sinnvoll ist, sondern als Chiffre für äussere und innere Kälte wirklich berührt.

Zufälliges aus dem Orchestergraben

Musikalisch blieben einige Fragen offen: Mit Ingo Metzmacher am Pult holte das Opernhaus eine interessante Persönlichkeit nach Zürich. Wirklich herausragend dirigierte er in der Premierenvorstellung am Sonntag allerdings nicht: Weder fand er die klanglichen Mittel, um die wirklich recht unterschiedlichen musikalischen Sphären - schillernd zwischen Wagner, Strauss und Versimo - auf vielschichtige Art zu durchdringen, noch konnte er sich in der Dynamik diesem für ihn neuen Haus wirklich gut anpassen. Da geriet manches mehr zufällig, und auch das Orchester hatte sich bei der Premiere noch nicht wirklich auf Metzmacher eingestellt.

Unter den Sängern brillierte Jonas Kaufmann als Königssohn, der abgesehen von einem Einbruch der Kräfte am Ende des zweiten Akts herausragend sang - mit viel lyrischem Schmelz, einer schönen Farbenpalette und mitreissendem Engagement - und zudem hervorragend spielte. Darin stand ihm Isabel Rey in keiner Weise nach, zusammen gaben sie ein hinreissendes Königskinderpaar ab. Die Jugendlichkeit und Naivität, die Reys Rolle verlangte, aber auch die Innigkeit und Reinheit, konnte sie sehr schön gestalten - hin und wieder hätte etwas mehr schlichte Stimmkraft nicht geschadet. Liliana Nikiteanu füllte die Rolle der Hexe tadellos; bei Oliver Widmer als Spielmann hätte man sich doch einiges mehr an lyrisch strömender Gesangslinienkultur anstelle deklamierender Exaktheit gewünscht.
Foto: Copyright: Suzanne Schwiertz, Zürich






 
 
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