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Der Landbote (23.10.2007) |
Herbert Büttiker |
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
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Ach, und wenn sie doch gestorben sind?
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Er hat eine der meistgespielten deutschen Opern
komponiert und ist doch kaum bekannt: Engelbert Humperdinck. Seine zweite
Märchenoper, «Die Königskinder», überrascht als Parabel von berührender
Thematik – so jetzt im Opernhaus.
«Die Königskinder» erzählen dramatisch wirkungsvoll, aber unaufgeregt von
einem Prinzen, der von zu Hause wegläuft und schliesslich unerkannt zu Hause
als Schweinehirt arbeitet, und vom unehelichen Kind eines Henkerknechts und
einer Henkerstochter, das bei einer Hexe aufwächst und als Gänsemagd dient.
Aber dort kommt es auch zur ersten Liebesbegegnung der beiden. Der Spielmann
präsentiert sie in der Stadt Hellabrunn als das von der Hexe prophezeite
neue Herrscherpaar. Das Volk ist ob der Zumutung empört, der Spielmann kommt
ins Gefängnis, die Königskinder werden verjagt und sterben in der
winterlichen Kälte.
Trotz der zahlreichen Anleihen beim Volksmärchen und der Gattungsbezeichnung
Märchenoper sind «Die Königskinder» keine jener zahlreichen Versuche
deutscher Komponisten, nach Wagner ein eigenständiges Terrain zu erobern,
und ein Stück für Kinder sind sie schon gar nicht. Zu sehen ist das Werk
eher im weiteren Kontext der Zeit, eines Debussy (Pelléas et Mélisande) etwa
oder Dvorák (Rusalka), beide 1901. Auf der Zürcher Bühne ist denn auch kein
Hexenhäuschen und kein Märchenwald zu sehen, und statt ein pittoreskes
Märchen-Mittelalter zu zeigen, spüren Jens-Daniel Herzog (Inszenierung) und
Mathis Neidhardt (Ausstattung) in einem realistisch-symbolischen
Einheitsraum den Grundkräften der Parabel nach.
Die Bühne zeigt einen öden, aber stimmungsstarken Innenraum, in dem die
Gesellschaft ihren Ort (die Stadthalle) und das Kind seinen Unort hat: Die
Gänsemagd ist hier eingesperrt im grossen Pflanzen-Laboratorium einer
obskuren Wissenschafterin und drückt die Schulbank. In der Stadthalle im
zweiten Akt quillt dann die Gesellschaftssatire über: Burger-King,
trottelige Politiker und eine verfressene Bevölkerung illustrieren köstlich
Humperdincks farbig orchestriertes musikalisches Getümmel.
Im letzten Akt sind die Fenster zerschlagen, die Tür ist gesprengt,
Durcheinander, Schmutz und Kälte bestimmen die Atmosphäre, es schneit.
Stimmiger, poetischer könnte die differenziert ausgeleuchtete Bühne dem
musikalischen Geschehen nicht folgen, das der Agonie der Königskinder in
einem fast endlosen Lyrismus nachweint. Zurück bleibt eine zerstörte Welt,
in der einzig der Kinderchor mit seinem beschwörenden Ruf «Königskinder»
Hoffnung aufscheinen lässt, die die Kinder selber verkörpern. Damit
schliesst sich der Kreis.
Begeisternde Königskinder
Sensibel und anschaulich hat die Regie im ersten Akt nämlich gezeigt, wie
Humperdinck das Erwachen des Kindes zu sich selbst, zu Liebe und
Menschlichkeit und zum Widerstand gegen die Zumutung des Bösen musikalisch
schildert. Dabei wird das, was ideologisch und sentimental wirken könnte,
realistisch aufgebrochen: Die Gänsemagd ist auch eine richtige Göre, trotzig
und verträumt. Und war es zu erwarten? Isabel Rey, mit dem Vorzug einer
zierlichen Gestalt und einer reifen Stimme, gelingt es mit allen
Ausdrucksnuancen die Entwicklung des Kindes zur jungen Frau auf natürliche
Art nachzuzeichnen und mit Wärme und Schlichtheit das immer mögliche Wunder
der «Menschwerdung» begeisternd in Musik und Gesang zu verwandeln.
Ganz ähnlich ihr Partner, Jonas Kaufmann: Vom burschikosen Parlando bis
zu revoluzzerischem Aufbegehren in dramatischen Höhen wartet sein Tenor mit
einer flexiblen und beherrschten Palette auf, und auch ihm gelingt es wie
selbstverständlich, den naiven Zug der Märchenfigur über alle Klippen der
musikalischen Herausforderung zu bewahren.
Das Zürcher Ensemble wartet mit einer ganzen Reihe prägnant karikierter
Figuren auf, Holzhacker (Rinhard Mayr), Besenbinder (Volker Vogel),
Wirtstochter (Martine Welschenbach) und etliche mehr. Einen feinen
Glanzpunkt liefert die junge Marie-Thérèse Albert als das Töchterchen des
Besenbinders, das als einziges die Echtheit der Königskinder erkennt, und
kapitale Partien haben Liliana Nikiteanu, die sich perfekt ins böse Fach
eingearbeitet hat, als Hexe, und Oliver Widmer als Spielmann. Humperdinck
hat mit ihm die Rolle des (und seines) Künstlertums in der Gesellschaft
reflektiert, und Widmer macht mit liedhafter Innigkeit und Klangfülle
deutlich, dass es sich um eine der schönsten lyrischen Bariton-Partien im
deutschen Fach handelt.
Um eine kostbare Partitur überhaupt, muss man betonen: voller Motive von
einprägsamer Kraft, in einen pulsierenden musikalischen Fluss verarbeitet,
und in einer luziden Instrumentation zum Sprechen gebracht, dazu ein
lebendiger Parlando-Ton und Dramatik ohne pathetischen Überschuss: Das
zusammen ergibt auch eine äusserst dankbare Aufgabe für das Orchester und
seinen Dirigenten. Für Ingo Metzmacher, Spezialist für die Moderne mit dem
Ruf, auch der Mann für eine neue Sicht auf vernachlässigte deutscher
Tradition zu sein, kommen hierbei offensichtlich Stimmung und emotionale
Werte vor kühler Präzision, und so war es auch aus dem Orchestergraben
heraus in aller Klangschönheit und dramatischen Verve ein Abend der
erzählerischen Tiefe und des menschlichen Gehalts. |
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