Frankfurter Rundschau, 27. Oktober 2007
VON HANS-KLAUS JUNGHEINRICH
Humperdinck: "Königskinder", Zürich, Premiere, 21. Oktober 2007
Ein Weltabschiedsstück
Das Zürcher Opernhaus gehört unter der langjährigen Direktion von Alexander Pereira zu den bemerkenswerten, zumindest zu den auffälligen Musikbühnen Europas. Ziemlich dicht dürfte es ein paarmal an dem Prädikat "Opernhaus des Jahres" vorbeigeschrammt sein.

Dass dieser Ehrentitel der "Opernwelt"-Kritiker bislang dennoch stets verpasst wurde, hängt mit einer zwischen Ambition und Kompromiss doch ein wenig unentschlossen lavierender Programmierung zusammen. Der letzte dramaturgische Kick fehlt, vielleicht aus Besorgnis vor den Geldgebern, den bei allem Kunstsinn doch wohl eher konservativen Geldsäcken vom Zürichberg. Solche Mächte sitzen Pereira mehr im Nacken als dem ebenfalls tapfer sich durchkämpfenden Frankfurter Opernmann Bernd Loebe.

Im Gegensatz etwa zu Intendanten wie dem verflossenen Frankfurter Martin Steinhoff betreibt Pereira ein Theater mit vielen Neuproduktionen und einem dicht besetzten Aufführungskalender. Bei bis zu 15 Premieren pro Saison bleibt viel Raum auch für Raritäten jenseits des Kernrepertoires. Doch achtet Pereira darauf, Werke aus den letzten 80 Jahren einer reichen, aber nicht obenhin bequemen und publikumsfreundlichen Operngeschichte säuberlich auszusparen. Die wenigen Novitäten, zu denen er sich aufraffte, waren in der Regel unspektakulär. Und die Verheißungen der Spielzeit 2007/2008 wollen das Bild nicht entscheidend modifizieren: Interessantheiten wie zwei Hálevyopern, Massenets "Cid", Schumanns "Genoveva" und Strauss' "Intermezzo" wird nichts von Reimann, Schoeck, Klebe, Kirchner, Henze, Schnittke, Nono und anderen Rühmlichkeiten der jüngst vergangenen Epoche komplementär an die Seite gestellt. Und bei der Betrachtung der szenischen Ergebnisse herrschen sowieso gemischte Eindrücke, nicht selten bloße Routiniertheiten.

Schön und verdienstvoll war es immerhin, jetzt Engelbert Humperdincks "Königskinder" aufs Programm zu setzen, von denen es sich herumgesprochen hat, dass es ein musikalisch überreiches Meisterwerk des Nachwagnerismus ist, zudem ein Schwellen- und Schlüsselwerk zwischen Romantik und Moderne, recht eigentlich ein Weltabschiedsstück, eine resignativ grundierte Utopie. Zur utopischen Stimme werden in dieser Oper für feinsinnige Erwachsene die Kinder, Gegenwelt zu den vom Realitätsprinzip besessenen Erwachsenen. Vor allem die beiden Titelfiguren, der Königssohn und die Gänsemagd, in deren Zueinanderfinden und Scheitern Humperdinck eine Gegenposition zum auf den Blutadel fixierten Wagner exponiert: Für ihn zählt einzig der "Herzensadel". Das überschwänglich formulierte, aber alles andere als dumme Libretto einer Dame, die unter dem Pseudonym Ernst Rosmer schrieb, transzendiert das Schwärmerisch-Schöngeistige des Sujets ins triftig Weltschmerzliche. In der Figur des Spielmannes wird zugleich der Künstler als empathischer Begleiter der Kinder und Gewährsmann idealer Mensch-lichkeit gestaltet.

Formale Überzeugungskraft gewinnt das Werk als ein Triptychon, dessen Rahmenakte gewissermaßen Innenwelt abbilden im scharfen Kontrast zur Außenwelt des Mitteltableaus. Heile "Natur" im ersten, zerstörte im dritten Akt. Aufbruch und böse Rückkehr. Konträr zum ähnlich gebauten "Palestrina" von Pfitzner, besorgt der vermeintlich helle Zentralakt das "Unheil" des Künstlers und der Kinder. Die kindlichen Titelhelden erleiden am Ende den gemeinsamen Tod im Schnee. Der Spielmann und der Chor der Kinder singen ihnen ein herzbewegendes Requiem.

Keine leichte Aufgabe für die Regie, den utopisch-künstlerischen Gehalt der Kindersphäre so achtungsvoll und unmissverständlich darzustellen, dass sie nicht zu verwechseln ist mit falschen Erwachsenenprojektionen kindlicher "Tümlichkeit". Das gelang auch dem Zürcher Szeniker Jens-Daniel Herzog nicht immer (man hätte es eher seinem Namensvetter Werner Herzog zugetraut). Immerhin agierten die Kinder in der Schlussszene mit einer oratorischen Präsenz, die sie zu eindringlichen Zeugen der "anderen" Wirklichkeit werden ließ. Dafür musste man neckische Gags an anderer Stelle (brave Schüleruniformen und Aktenköfferchen) in Kauf nehmen. Plausibel indes das Einheitsbühnenbild von Mathis Neidhardt, anfangs statt einer Waldkulisse eine Art Gewächshaus, vielmehr ein Schuppen mit allerlei Pflanzenkübeln, später verwandelt in ein Bierzelt, im Schlussbild mäßig derangiert.

Ihren Rang bekam die Aufführung vor allem durch die dichte, klangsensualistisch inspirierte, durchweg ruhevolle, immer wieder auch hymnisch aufrauschende Orchesterdiktion unter Leitung von Ingo Metzmacher, der ein Faible für diese ebenso farbsatte wie sensible Tonsprache hat wie kein anderer. Von den Sängern imponierte am meisten Jonas Kaufmann als tenoral kraftvoller, aber auch feinerer Nuancen fähiger Königssohn. Deutlich ins Dramatische ausgreifend die Gänsemagd von Isabel Rey. Oliver Widmer fehlte ein wenig die mühelose Spielmann-Grandeur eines Hermann Prey. Mit geradezu opulent besetzten Kinderchören nicht zuletzt zeigte die Zürcher Oper, was sie bei solchen Anlässen zu leisten vermag.






 
 
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