Stuttgarter Nachrichten
Susanne Benda
La Traviata, Stuttgart, Oktober 2005
Staatsoper Stuttgart: "La Traviata" - Die Gärtnerin aus Liebe
Wiederaufnahme von Verdis "La Traviata" in der Inszenierung von Ruth Berghaus an der Stuttgarter Staatsoper
Es ist ein eigen Ding mit alten Inszenierungen: Bei ihrer Wiederaufnahme begegnet man nicht nur Bildern wieder, die in der Erinnerung schon ein wenig ausgeblichen und vergilbt wirkten, sondern auf das Gespielte legt sich die Interpretationsgeschichte noch außerdem wie eine dicke, feste Patina.

Im Falle der erst zweiten Inszenierung einer Verdi-Oper, die Ruth Berghaus im Mai 1993 an der Stuttgarter Staatsoper unternahm, bewirkt diese zusätzliche Schicht, dass das Staunen wegfällt - darüber, dass sich die Berghaus überhaupt einer italienischen Oper annahm, wie auch darüber, dass sie dabei ein für sie bis dato ungewöhnliches Interesse an großen Gefühlen bekundet.

Dabei liegt im Mitleiden, im individuellen Empfinden, gar nicht die Stärke dieser großen Regisseurin: Mit dem Chor - das spürt man deutlich auch in dieser "Traviata", die Stuttgarts Staatsopernintendant Klaus Zehelein in seiner Abschieds-Spielzeit noch einmal ins Programm genommen hat - kann Ruth Berghaus weitaus zwingender umgehen als mit dem emotionalen Kammerspiel, das sich vor den in gewohnter Berghaus-Manier stilisierten Bewegungen der Masse abspielt. Dafür entschädigen die Sänger der Hauptpartien mit starker Bühnenpräsenz: Jonas Kaufmann, der einen glänzenden, geschmeidigen, kernigen Alfredo singt, und Lukia Spanaki als (hier zur Gärtnerin mutierten) Violetta, die sich trotz einiger Schärfen in der Höhe und trotz mancher nur ungefähr gelingender Koloraturen zu steigern vermag.

Michael Ebbecke muss in der Partie des Germont weite Tremolo-Strecken durchschreiten, bis er endlich in den einigermaßen beruhigten Gefilden der provenzalischen Heimat anlangt; Claudia Mahnke gibt eine ungewöhnlich interessante Flora. Matteo Beltramis hervorragende Qualität am Pult des Staatsorchesters ist seine Geradlinigkeit, der allerdings manches Feine, manche Zwischentöne zum Opfer fallen, und Michael Alber hat den Staatsopernchor so einstudiert, dass er nicht nur in präziser Choreografie jenen "Pulsschlag des Universums" ins Bild setzt, von dem bei den Liebenden so oft die Rede ist, sondern ebenso genau auch singt. Ein paar Details - Kopulationsszenen im letzten, Umtriebigkeiten im ersten Bild des zweiten Aktes - sind über die Jahre verloren gegangen; vielleicht hat man sie auch verlieren wollen, denn es ist gut so. Der Rest, den Spielleiterin Birgit Kadatz aufbereitete, gibt sich unverändert vital, und das ist noch viel besser.






 
 
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