Neue Luzerner Zeitung, 22. 2. 2005
Urs Mattenberger
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
Intimes Bettgeflüster in Nahaufnahmen
Harnoncourt kehrt mit Monteverdi nach Zürich zurück: «L'Incoronazione di Poppea» ist in der Inszenierung von Jürgen Flimm so lebensnah wie grosses Gefühlskino.
Vor bald 30 Jahren war der Monteverdi-Zyklus, den Nikolaus Harnoncourt in Zürich dirigierte, eine internationale Sensation. Er brachte dem Pionier der historischen Aufführungspraxis Anerkennung weit über die Alte-Musik-Szene hinaus. Und er entdeckte Claudio Monteverdi als Begründer der Oper für die Gegenwart neu.

Die Auswirkungen verdeutlicht jetzt gleich doppelt die Produktion, mit der Harnoncourt mit Monteverdi ans Zürcher Opernhaus zurückkehrt. Was auch für die musikalische Gestaltung gilt, kommt heute unmittelbar im ganz anderen Regiestil zum Ausdruck. Damals hatte Jean-Pierre Ponnelle mit barock verkünstelter Bilderlust ein Werk aus der Frühzeit der Operngeschichte rehabilitiert.

Demgegenüber verlegt Jürgen Flimm «L'Incoronazione di Poppea» in die Gegenwart. Tatsächlich ist die Geschichte um eine bedingungslose Leidenschaft, die zu Liebesverrat führt und gesellschaftliche Ordnungen zerstört, von zeitloser Aktualität: Kaiser Nero, besessen von der Liebe zur machthungrigen Hure Poppea, verstösst seine Gemahlin und setzt sich auch über jede (Staats-)Räson hinweg, als er sie zur neuen Kaisergattin macht.

Realitätsnah wie im Film
Flimm siedelt die Handlung im schicken High-Society-Milieu an, in das sich selbst die Nebenfiguren integrieren lassen. Die allegorischen Figuren des Prologs etwa treten als spitzmäulig rivalisierende Putzequipe auf, Neros Soldaten werden als Bodygards karikiert, der Hausherr selbst ist ein vergnügungssüchtiger Geschäftsmann, der seine Macht schamlos zur eigenen Triebbefriedigung ausnutzt.

Flimms Schauspielregie wirkt dabei so natürlich und realitätsnah, als wären wir im Kino. Und auch die Drehbühne von Annette Murschetz bringt ein filmisches Element ins Spiel: Die manchmal in Zeitlupe gedehnten Drehungen der Bühne simulieren Kamerafahrten durch einen repräsentativen Empfangsraum, das mit Büchern vollgestapelte Studierzimmer oder das verlassene Schlafzimmer von Neros Gattin Ottavia. Und das Raumgefüge ist so raffiniert ineinander verschachtelt wie das komplizierte Beziehungsgeflecht mitsamt betrogenen Ehefrauen und -männern.

Gleichsam die innerste Zelle des ganzen Gefüges ist das im Erdgeschoss vor sich hin dämmernde Lustzimmer für die Schäferstündchen Neros mit seiner Geliebten Poppea. Das zärtliche Nachspiel im Duett des ersten Aktes ist nicht nur ein Beispiel für Flimms lebensnahe Personenregie. In solch intimen Momenten wird deutlich, in welche Richtung sich Harnoncourts Dirigat in den letzten Jahren entwickelt hat. Natürlich prallen auch jetzt die für Monteverdi charakteristischen Ausdruckskontraste heftig aufeinander. Aber zur demonstrativen Affektrhetorik tritt hier eine Natürlichkeit im Ausdruck, die sich Flimms Regiestil nahtlos anschmiegt und auch Momente einer unglaublichen Ruhe und Gelassenheit zulässt. Das Duett der beiden Liebenden im ersten Akt ist da ein bis in feinste Regungen hinein musikalisiertes Bettgeflüster. Ins Extrem gesteigert wird dieser musikalische Naturalismus im dritten Akt, wenn Harnoncourt in der Abschiedsklage von Ottavia die Pausen als Ausdruck sprachloser Verzweiflung bis zum Zerreissen spannt.

Verführung statt Hinterlist
Das reich besetzte Barock-Orchester La Scintilla gestaltet dieses Drama virtuos und lässt doch viel Raum für das sprechende Singen der zahlreichen, vorzüglichen Sängerdarsteller. Mag sein, dass unter diesen die Erkrankung von Vesselina Kasarova an der Premiere einen unerwartet neuen Akzent gesetzt hat: Juanita Lascarro brachte in der Rolle der Poppea das Kunststück fertig, sich in nur zwei Tagen in dieses ausgefeilte Regiekonzept einzufügen. Aber ihr betörend weicher Sopran gab der Liebesintrigantin vorab verführerische und kaum hinterlistig kämpferische Züge. Dass sie dadurch auch stimmlich zu einer idealen Partnerin von Jonas Kaufmanns Nero wurde, nahm dem Drama etwas von seiner Spannung. Zum Schluss zu Recht ungeteilter, begeisterter Applaus für die Aufführenden wie für das Leitungsteam.
Foto: Hermann und Clärchen Baus






 
 
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