|
|
|
|
|
Basler Zeitung, 22. 2. 2005 |
Benjamin Herzog |
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
|
Erregungspotenzial der Macht
|
Claudio Monteverdis «L’
Incoronazione di Poppea» am Opernhaus Zürich |
|
Nikolaus Harnoncourt dirigierte und Jürgen
Flimm inszeniert den moralzersetzenden Sieg der Liebe. Ohne Mickymäuse und
ohne die erkrankte Vesselina Kasarova.
Geiz sei geil, versucht man uns seit einiger Zeit einzutrichtern. Ein
zweimalig benutzter Teebeutel, ein Billigcomputer - das erotische Potenzial
solcher Sparangelegenheiten scheint gross und hat die alte Erotik der Macht
abgelöst. Beinahe. In Monteverdis 1643 uraufgeführter Oper bringt Poppea,
die Mätresse des römischen Kaisers Nero, diesen dazu, seine eigene Frau zu
verbannen. Somit ist der Platz an Neros Seite frei. Monteverdi verheimlicht
den Aufstieg Poppeas nicht, ihre Krönung verrät er bereits im Titel:
«L’Incoronazione di Poppea».
Machtansprüche
Spannungsgewinn erzielt ein Wettbewerb zwischen den allegorisch auftretenden
Figuren Glück, Tugend und Liebe. Jürgen Flimm lässt die beiden Frauen und
das Amor darstellende Kind dem Geschehen auf der Bühne folgen. Als
Putzkraft, Pizzaservice, beschürzte Angestellte in Neros Domus Aurea, von
Bühnenbildnerin Annette Murschetz als italienische Designvilla im Betonstil
auf die Drehbühne gestellt; eine Protzhütte, die sowohl in einem eleganten
Römer Vorort stehen könnte, wie auch an Zürichs Goldküste.
Nach dem Verschwinden der putzenden Allegorien dreht sich die Hausseite
mit Neros Bettstatt nach vorne. Darin vorzufinden: der Kaiser (Jonas
Kaufmann), ein Jungmanager in schwarzer Unterwäsche und heftiger Umarmung
seiner Geliebten: Poppea, wegen Erkrankung Vesselina Kasarovas von Juanita
Lascarro dargestellt. Das Paar hat einen Auftritt, der von Leidenschaft,
Ungeduld und Zärtlichkeit gekennzeichnet ist. Ein starker Anfang, der einen
vergessen lässt, dass Lascarro kurzfristig nur eingesprungen ist. Die junge
Kolumbianerin kommt stimmlich nicht ganz an die krankheitsanfällige
Primadonna heran, dafür aber lässt sie der Figur mehr Platz. Die süsse
Sanftheit ihres Soprans täuscht nur vordergründig über dessen verführerische
Fähigkeiten: Ihre Machtansprüche kann auch diese Stimme deutlich machen.
Liebeskind
Die Liebe siegt. Ihre moralzersetzenden Eigenschaften bricht Flimm mit einem
Kniff. Der von Gregory Limburg gesungene Knabe Amor ist, so suggeriert er,
nämlich das Kind Poppeas. Das Schlussbild, die «Incoronazione», vereint denn
auch das Kaiserpaar und das triumphierende Liebeskind zur heilen
Kleinfamilie. Die Geilheit des Machtzuwachses hat Ziel und Ruhe gefunden.
Rausch
Deutlich wird das Erregungspotenzial der Macht auch in einer Szene
beleuchtet, die Nero und seinen Freund Lucano beim Feiern von Senecas Tod
zeigt. Mit dem von einem hervorragenden László Polgár dargestellten
Philosophen hat die letzte inkorrumpierbare Instanz verblutend die Bühne
verlassen; einer, dessen exakt geführter Bass Unbeirrbarkeit darstellte.
Nero und Lucano freuts. Eingedenk der nun sich darbietenden Möglichkeiten
freier Liebes- und Machtausübung steigern sie sich in einen Rausch auf Neros
Bürotisch, der homoerotische Züge trägt. Solche Eindeutigkeiten erlaubt die
linear erzählende Inszenierung Flimms und sein Verzicht auf weitere
«Allegorien» wie Mickymäuse, Freiheitsstatuen, Barbiepuppen, wie sie Nigel
Lowery 2003 in seiner Basler «Poppea» benutzte.
Auch der Humor kommt hier nicht zu kurz, etwa in der Rolle der Amme Arnalta:
Der unter einer blonden Perücke versteckte Haut Contre Jean-Paul Fouchécourt
stöckelt so sicher auf seinen Absatzschuhen durch Neros Haus wie er
stimmliche Souveränität und Spielwitz unter Beweis stellt.
Jungtalente
Die Besetzung ist exquisit: Nero (Jonas Kaufmann), ein Tenor mit
baritonaler Stärke und brillanten Höhen, die verstossene Kaiserin
(Francesca Provvisionato), schneidend furios bis zu ihrem berührend
hingehauchten Abgang, Poppeas Exgeliebter Ottavio (Franco Fagioli) als in
seinen Gefühlen erstickender Antiheld. Niemand fällt ab, auch die
Jungtalente des Opernstudios machen ihre Sache gut.
Nikolaus Harnoncourt hat die als Gerüst überlieferte Musik eingerichtet, hat
den Figuren charakteristische Instrumentalklänge zugeordnet, was in der nur
von zwei Aktpausen unterbrochenen Oper hilfreich ist. Beweglich verfolgt das
Orchester «La Scintilla» die schnellen, fliessenden Wechsel zwischen
Begleitung und Initiative. Klar wird an diesem gelungenen Abend, dass die
Liebe auch musikalisch Siegerin bleiben muss. Glück, Tugend lassen sich mit
Tönen schwer darstellen. Die Liebe aber schon, und sei sie noch so
amoralisch. Das ist etwas erschreckend und zugleich das Allerschönste.
Foto: Hermann und Clärchen Baus |
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|