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Tages-Anzeiger, 21. 2. 2005 |
Thomas Meyer |
Monteverdi: L'Incoronazione di Poppea, Zürich, Februar 2005
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Ein barockes Spiel ganz von unserer Zeit
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Eine Art Revival: Nikolaus
Harnoncourt dirigiert am Opernhaus noch einmal Monteverdis «L'incoronazione
di Poppea», überzeugend unterstützt von Jürgen Flimm. |
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So kehrt er an den Ort der Tat zurück. Vor bald
dreissig Jahren hatte am Zürcher Opernhaus die
Claudio-Monteverdi-Renaissance auf der Bühne begonnen, mit Nikolaus
Harnoncourt am Dirigentenpult. Ihr Höhepunkt, die eigentliche Entdeckung,
war «L'incoronazione di Poppea», Monteverdis mutmasslich letzte Oper von
1642.
Zwar hatte uns der frühe «Orfeo» im Jahr zuvor die immense musikalische
Bedeutung dieses Komponisten nicht nur für die Operngeschichte aufgezeigt,
aber mit der «Poppea» entfaltete sich ein faszinierendes Drama
shakespeareschen Ausmasses, voll farbiger, amoralischer und daher zutiefst
menschlicher Figuren, jenseits mythischer Bedeutungen, voller Leben. Umso
wichtiger war, dass Regisseur Jean-Pierre Ponnelle ganz auf diese Figuren
setzte. Gewiss hatte er sein Konzept mit einem Rahmen barockisierenden
Theaters, mit bunten Rüstungen und derlei mehr, so wie sich der Barock die
Antike aneignete, aber zuallererst agierten Figuren aus Fleisch und Blut,
die uns ganz mozartsch vorkamen mit ihren Widersprüchlichkeiten und die
zuweilen der Commedia dell'Arte entsprungen schienen. Das war ganz natürlich
gespielt, unverstellt, ohne steife Rituale und ohne die vielen Gags, die bei
Ponnelle bald nachdrängten.
Das wiederholen zu wollen: welche Kühnheit! Die prächtige begeisternde
Naivität jener Darbietung ist nicht mehr zu beleben, und doch gelang am
vergangenen Freitagabend im Opernhaus mehr als eine seichte Rekonstruktion.
Das vor allem, weil der Regisseur der Neuinszenierung, Jürgen Flimm,
spätestens seit Ponnelles Tod der bevorzugte Partner Harnoncourts, diesmal
auf ähnliche Qualitäten wie einst Ponnelle setzt: auf die Figuren, die in
dieser Oper lebendig sind wie nur selten auf der Opernbühne.
Seine Szenerie erinnert in nichts an ein barockes Spiel, es ist ganz von
unserer Zeit - was keinen Moment stört. Annette Murschetz hat eine Drehbühne
(und damit ein wunderbares Sinnbild auch für das Ränke- und Intrigenspiel
der Macht) eingerichtet, die sich, den oft raschen Szenenwechseln
entsprechend, leicht verändern lässt: Vom Schlafzimmer der Poppea geht es
mit einer Drehung zum Bett der Kaiserin Ottavia, von da ins Arbeitszimmer
Nerones oder in die Attikawohnung Senecas. An sich hat man Ähnliches in
diversen Inszenierungen an der Pfauenbühne der Marthaler-Ära gesehen, auch
in der Ausstattung: modern, chic und unpersönlich, etwas schmuddelig, und
ständig von Personen bevölkert, die dort eigentlich wenig zu suchen haben.
Die drei allegorischen Gestalten des Werks - Tugend, Schicksal und Liebe -
verwandeln sich durch die Kostüme von Heide Kastler in Putzfrauen. Seis
drum. Es trägt nur wenig zur Deutung dieser drei Gestalten bei, die bei
Flimm doch etwas stiefmütterlich behandelt sind, so als könne er wenig damit
anfangen. (Zum Glück hatte Harnoncourt weitere Göttergestalten schon vor
dreissig Jahren aus seiner Version herausgestrichen.)
Keinen Moment fremd
Schliesslich bringt uns die moderne Kleidung und Ausstattung die Personen
doch auf ganz direkte Weise näher, sie bewegen sich darin so frei, als
hätten wir ein Drama aus unserer Zeit vor uns. Und weil diese Gestalten
jenseits des historischen Rom aktuell sind, weil Flimm sie uns höchst
lebendig und leidenschaftlich vorführt, erscheint einem dieses Drama auch
keinen Moment fremd. Monteverdis Dramaturgie kommt zum Tragen: Wir haben es,
so wünschte er es sich, mit Menschen zu tun. Und Flimm enthält sich allen
Gag- und Ideenfirlefanzes, der diese Handlung nur stören würde.
Lebendig genug geht es zu, eben wie bei Shakespeare: Da gibt es
heuchlerische Philosophiestudenten und obrigkeitsmüde Soldaten, eine
resignierende Alte (Kismara Pessatti) und daneben die Amme der Poppea,
Arnalta, eine Rockrolle, die Jean-Paul Fouchécourt skurril überdreht, es
gibt die treuherzig liebende Drusilla (Sandra Trattnigg) und den zwischen
seinen Gefühlen hin und her gerissenen Ottone (gekonnt unschlüssig der
Countertenor Franco Fagioli), schliesslich den überlegenen Stoiker Seneca
(László Polgár) und vor allem die tragische Intrigantin Ottavia. Ihr
verleiht Francesca Provvisionato eine stilles Pathos, das von feinsten
Seufzern aus zu grosser Geste aufsteigt. Selbst die Falschheit kann hier
Grösse entwickeln. Da Harnoncourt den Nerone in seiner Bühnenfassung von
einem Tenor singen lässt, erleben wir mit Jonas Kaufmann tatsächlich einen
virilen lateinischen Macho, der zudem verführerisch singt.
Ein guter Ersatz für Kasarova
Zur Premiere packte sich die Grippe die Protagonistin: Schade natürlich,
doch man hatte Glück im Unglück. Wenn man nicht wüsste, dass Vesselina
Kasarova sechs Woche detailliertest an der Rolle der Poppea geprobt hat und
dass sie allein mit ihrer so souveränen Gestaltungsweise sicher eine höchst
persönliche Note hineingebracht hätte, man würde an diesem Abend wenig
vermissen. Juanita Lascarro, die innerhalb von zwei Tagen einsprang, geht
voll in diesem Konzept auf, spielt leicht und anzüglich, sie strebt ganz
kindlich und direkt an die Macht, und sie singt leise und intensiv. Ein
guter Ersatz.
Das überhaupt einmal mehr: dieses wunderbar leise Singen und Deklamieren. Es
gewinnt an diesem Abend allmählich wieder die alte Bedeutung. Zunächst
musste sich das Ohr erst wieder an den Klang des auf Publikumshöhe
hochgefahrenen Orchesters La Scintilla gewöhnen, zunächst klang das auch
eine Spur zu laut - aber allmählich wurde dieses Ensemblespiel doch immer
intimer. Und dann waren alle die Eigenschaften jenes Musizierens wieder
vereinigt, das uns vor bald dreissig Jahren so fasziniert hatte: dieses
leichte verspielte Agieren, Rezitieren und Singen, das den Worten und Tönen
so viel Platz lässt, dass sie sich auf kleinstem Raum entfalten können.
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