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Opernglas |
A. Laska |
Verdi: Otello, Paris Opéra Bastille, März 2004
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Otello
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Wien, London, New York, Macerata, Florenz, Orange,
Brüssel und nun auch Paris - kaum ein Opernhaus von Weltruf, kaum eine
Festspielstätte, wo Vladimir Galusin in den letzten Jahren nicht in der
Titelrolle von Verdis »Otello« aufgetreten wäre. Sicher, der russische
Tenor gestaltet seine Partie stimmlich wie szenisch mit ungeheurer
Intensität und wuchtet Spitzentöne mit beeindruckender Kraft ins
Auditorium, aber schon nach kurzer Zeit ermüden diese Kraftmeierei und die
halsige und forcierte Singweise die Ohren der Zuhörer ebenso wie die
Stimmbänder des Sängers. Bereits im zweiten Akt schleichen sich immer
wieder Kratzer ein, brechen ihm im Passaggio sogar einzelne Töne.
Deutlich überzeugender geriet der Jago von Jean-Philippe Lafont. Zwar ist
der französische Bariton auch kein Belcantist und spricht auch seine
Stimme in höherer Lage nur unter einem gewissen Druck an, doch wie er
Arrigo Boitos Text auslotet, wie er seinem großdimensionierten
Charakterbariton Nuancen und dynamische Abstufungen abgewinnt, verdient
Respekt. Vor allem aber fasziniert Lafont mit einer gestisch und mimisch
ausgefeilten schauspielerischen Leistung der absoluten Sonderklasse.
Eine Klasse für sich stellt Barbara Frittolis Desdemona dar. Die exquisit
timbrierte Stimme wird bruchlos von der schlanken Tiefe bis hinauf zu
leuchtenden Höhen geführt, weitgesponnene Pianophrasen gelingen ebenso
überzeugend wie die dramatischen Ausbrüche des 3. Akts. Zudem ist die
attraktive Italienerin eine hervorragende Darstellerin und beweist starke
Nerven, als gerade während des im Pianissimo intonierten Ave
Maria-Schlusses kurzzeitig der Strom ausfällt. Als Cassio macht der
Hausdebütant Jonas Kaufmann mit seiner italienisch timbrierten, sich in
der Höhe herrlich öffnenden Tenorstimme nachhaltig auf sich aufmerksam.
Für größere Aufgaben empfiehlt sich außerdem die moldavische
Mezzosopranistin Elena Cassian, die als Emilia ebenfalls an der Opéra
debütierte.
Am Pult stand bei dieser Premiere ein letztes Mal der Musikchef des
Hauses, James Conlon. Geradezu ideale Tempi, eine perfekte Balance
zwischen Bühne und Orchester sowie eine subtile Begleitung der Sänger
bewiesen einmal mehr das hohe Können dieses Dirigenten. Zudem verstand es
Conlon vom ersten Einsatz an, einen Spannungsbogen aufzubauen, der bis zum
Schluss nicht mehr abreißen sollte.
Als in höchstem Maße spannend darf auch die überraschend werkgetreue
Inszenierung gelten, für die Andrei Serban (Regie), Peter Pabst
(Bühnenbild), Graciela Galan (Kostüme) und Joel Houbeigt (Lichtgestaltung)
verantwortlich zeichneten. Sie situierten das Werk - nicht gerade
originell -in der Entstehungszeit, was aber immerhin ein ästhetisch
schönes Bühnenbild und kleidsame, farbige Kostüme zur Folge hatte. Hinzu
kamen eine differenzierte Lichtregie und eine Vielzahl beeindruckender
Projektionen (z.B. der Sturm zu Beginn!) und eine detailreiche, in jedem
Moment fesselnde Personenregie. Über den einen oder anderen Einfall lässt
sich sicher streiten (Desdemonas öffentliche Beichte während Jagos
„Credo“, Otellos afrikanisches Totenritual, ehe er Desdemona zuerst
ersticht, dann erdrosselt und schließlich erstickt...), doch bleiben diese
Einwände marginal anlässlich der ungemein sorgfältigen psychologischen
Auslotung der Figuren, der jederzeit erkennbaren Feinarbeit des Regisseurs
mit den einzelnen Solisten, aber auch mit Chor und Statisterie. Jago
dominiert mehr denn je das Geschehen. Er ist quasi omnipräsent,
gleichermaßen Zeuge des Liebesduetts wie des Mords an Desdemona.
Hervorragend herausgearbeitet ist Otellos Zerrissenheit zwischen seinem
Ruhm als Feldherr und seiner Unerfahrenheit, seiner Unsicherheit als
Liebhaber, die für Jago schließlich die entscheidende Angriffsfläche
bietet.
Zum Schluss gab es Ovationen für Chor, Orchester, Solisten und den
Dirigenten. Was die Premierenbesucher hingegen von der Inszenierung gehalten
haben, bleibt bis auf weiteres ihr Geheimnis, da sich das Regieteam am
Schluss nicht verbeugte. Laut Pressemitteilung der Opéra hatte Andrei Serban
an jenem Premierenabend einen unaufschiebbaren Termin an der New Yorker
Columbia University wahrzunehmen, wo er eine Professur bekleidet. |
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